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Wer gerne Fleisch isst und dabei auf eine artgerechte Haltung der Tiere wert legt, bekommt beim Kauf ab sofort Hilfe in Form eines neuen Labels auf den Verpackungen. Die Riege deutscher Discounter- und Supermarktketten – darunter Aldi,  Edeka, Kaufland, Lidl, Penny oder Netto mit Hauptsitz in Maxhütte-Haidhof – hat sich zusammen auf eine Kennzeichnung mit sogenannten „Haltungsform-Icons“ geeinigt, die jedoch viel Kritik erntet. Ob sich die neue Abstufung als nützlich erweist, wird sich zeigen. Sicher ist jedoch: Der Dschungel an Siegeln und Labeln wird immer größer und unübersichtlicher.

Der viereckige Aufkleber der Service-Initiative „Haltungsform“ zeigt von einer Skala von eins bis vier, die auch farblich unterschiedlich gekennzeichnet ist, die Haltungsform des Fleisches von Rind, Geflügel und Schwein an. Hierbei gibt es folgende Stufen:

1)      Stallhaltung (rot): entspricht lediglich den gesetzlichen Mindestanforderungen
2)      Stallhaltung Plus (blau): sichert Tieren unter anderem mindestens zehn Prozent mehr Platz und zusätzliches Beschäftigungsmaterial zu
3)      Außenklima (orange): hierbei wird den Tieren noch mehr Platz und Frischluft-Kontakt zugesichert; nicht zu verwechseln mit Auslauf oder Freigang (erst ab Stufe 4)
4)      Premium (grün): Auslaufmöglichkeiten im Freien; auch Biofleisch

Durch die Kennzeichnung soll dem Verbraucher eine Hilfestellung gegeben werden. Handel und Landwirte sehen die Vorteile vor allem in der Übersichtlichkeit. Auch die Verbraucherzentrale findet lobende Worte, beispielsweise zur einheitlichen Kennzeichnung der Supermärkte und Discounter.

Die Grünen-Politikerin Renate Künast lobt das Vorgehen des Handels und kritisiert indessen die Bundesregierung. Die Wartezeit auf ein staatliches Siegel sei einfach viel zu lange, sodass sich der Handel nun nicht weiter gedulden wollte und etwas Eigenes auf die Beine stellte. Außerdem verlangt sie von Klöckner eine Anhebung der gesetzlichen Mindeststandards.

Nichtsdestotrotz weist die Verbraucherzentrale im selben Atemzug auf die Tücken und Nachteile der neuen Kennzeichnung hin. Beispielsweise sorge der Terminus „Außenklima“, Stufe drei des Siegels, durchaus für Verwirrung. Damit sei nämlich genau nicht die Gewährleistung von Weidegang oder der Auslauf des Tieres gemeint, sondern lediglich frische Luft oder ein halboffener Stall, erklärt Jutta Jaschke vom Verbraucherzentrale-Bundesverband. Erst Stufe vier (Premium, grün) garantiere, dass die Tiere ihre arteigenen Verhaltensweisen ausüben können, wie im Falle des Schweines das Wühlen oder im Falle des Huhnes das Picken oder Nester bauen, so Jaschke. Ergo: Eine gute, artgerechte Haltung ist nur mit dem höchsten Level, also Stufe vier, gewährleistet.  Ein weiterer Minuspunkt sei ihrer Meinung nach die Beschränkung der Kennzeichnung auf verpacktes Fleisch. Bei den Angeboten in der Fleischtheke muss sich der Verbraucher weiterhin auf die Kompetenz des Personals verlassen.

Stufe 2 als Tierwohl-Standard?

Aldi, Edeka und Co. betonen in ihren Mitteilungen zu diesem Thema immer wieder das Tierwohl. Offen bleibt dabei jedoch, wie die Supermärkte Tierwohl genau definieren. Denn viele Discounter streben lediglich Stufe 2 als Mindeststandard an. Diese garantiert aber nicht einmal eine Frischluftzufuhr für die Tiere, geschweige denn medizinische oder gesundheitliche Pflege bei beispielsweise Krankheiten oder Schmerzen.

Lidl betont, dass wie zuvor der Lidl-Haltungskompass auch „das vierstufige System kein Tierwohllabel“ sei, sondern den Kunden anzeige, „wie die Tiere gehalten wurden“. Dadurch würden Kunden unterstützt, „eine bewusste Kaufentscheidung für eine tierwohlgerechtere Haltung zu treffen“. Das bisherige Angebot von Lidl weise im Bereich der Stufen zwei bis vier eine Quote von rund 50 Prozent auf. Etwa die Hälfte aller abgepackten Fleischwaren bei Lidl entspricht demnach lediglich dem gesetzlichen Mindeststandard. Langfristig will man beim Discounter aus Neckarsulm das komplette Fleischsortiment mindestens auf Stufe zwei umstellen.

Aus der Nettozentrale in Maxhütte-Haidhof heißt es, dass die Umstellung auf die neuen Haltungsform-Etiketten bei allen Schweine-, Rinder- und Geflügelfleischartikel der Eigenmarken bis Ende Mai angepeilt werde. Die Hälfte des Eigenmarken-Frischfleischsortiments von Netto entspreche dabei mindestens Stufe zwei. Für noch mehr Verbraucherorientierung und Herkunftstransparenz ersetzt Netto mit der Branchenkennzeichnung „Haltungsform" schrittweise sein eigenes Netto-Haltungszeugnis, das es im Mai 2018 eingeführt hatte. Auch Netto betont in seiner Pressemitteilung das Wohl der Tiere: „Das Thema Tierwohl und dessen kontinuierliche Weiterentwicklung sind wesentlicher Teil der ökologischen und gesellschaftlichen Verantwortung von Netto Marken-Discount. So gehört Netto seit 2015 zu den Gründungsmitgliedern der Initiative Tierwohl.“

Bei der Lebensmittel-Einzelhandelskette Kaufland geht man ähnlich vor wie bei Netto. Auch hier erfolgt eine sukzessive Umstellung vom bisherigen, hauseigenen Haltungskompass auf die neue, einheitliche Kennzeichnung „Haltungsform“. Stefan Rauschen, Einkaufsleiter Frische bei Kaufland Deutschland, unterstreicht mit der neuen Etikette ebenfalls die Unterstützung des Tierwohls: „Die ‚Haltungsform‘ ist bereits so konzipiert, dass sie grundsätzlich vereinbar ist mit der geplanten staatlichen Tierwohlkennzeichnung.“ Weiter heißt es in der Pressemitteilung der Kette, dass man eine stärkere Verpflichtung zu mehr Tierwohl fordere. Gleichzeitig wird jedoch auch hier darauf verwiesen, dass langfristig die Stufe zwei als Mindeststandard anvisiert wird.

Kritik an „Mogelpackung“

Der Vorstoß des Handels ruft unter anderem in der Politik viele Kritiker auf den Plan. Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner von der CDU stellte bereits Anfang Februar einen staatlichen Plan für eine Tierwohlkennzeichnung, in diesem Fall speziell für Schweine, vor. Ziel des staatlichen Tierwohlkennzeichens sei es, dem Verbraucher sichtbar zu machen, bei welchen Produkten höhere als die gesetzlichen Standards eingehalten wurden. So werde ein Mehr an Tierwohl erzeugt. Letzteres sei bei der neuen Initiative hingegen nicht der Fall, kritisiert Klöckner das Haltungsform-Label.  Insgesamt stufte die Ministerin das handelseigene Herkunftssiegel als „unzureichend“ ein, wie sie im Gespräch mit dem RBB verriet. Die Kennzeichnung sei zwar ein erster Schritt, allerdings habe der Handel nur einsortiert, was es eh schon gäbe. „Deshalb sind die Kriterien auch etwas übersichtlich. Die beziehen sich nur auf den Stall.“ Das angestrebte, staatseigene Tierwohllabel sei dagegen viel umfassender. „Wir schauen uns die Aufzucht des Ferkels an, den Transport, bis hin zur Schlachtung.“ Das staatliche Tierwohllabel, das ab kommendem Jahr vorerst nur für Schweine geplant ist, zieht beispielsweise sehr wohl auch in Betracht, ob das Ferkel mit oder ohne Betäubung kastriert wurde oder wie der Tiertransport ablief. Dies ließe sich nicht an der handelseigenen Markierung ablesen. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft unterstützt zudem ein eigenständiges Tierschutzlabel des Deutschen Tierschutzbundes, das auch für beispielsweise Legehennen gilt.

Die Verbraucherorganisation Foodwatch stempelte die handelseigene Kennzeichnung gar als „Mogelpackung“ ab. Das neue Label der großen Handelsketten gaukle den Verbrauchern vor, sie könnten mit ihrem Einkauf die Zustände in den Ställen maßgeblich verbessern, wo es doch bei der Kennzeichnung ausschließlich um formale Haltungsbedingungen, wie etwa Platz und Auslauf gehe. Das Wohl der Tiere sei dadurch nicht gewährleistet, wodurch Verbraucher in die Irre geführt würden. Auch das geplante staatliche Label sieht Footwatch nicht als Lösung: „Es braucht vielmehr klare gesetzliche Vorgaben für bessere Tiergesundheit in allen Ställen“, so Matthias Wolfschmidt, Internationaler Kampagnendirektor von Foodwatch. Als weiteren Lösungsansatz schlägt er rechtliche Konsequenzen für Betriebe mit schlechten Zuständen vor und fordert im Gegenzug finanzielle Belohnungen für Ställe, die ein hohes Maß an Tiergesundheit erreichen.

Aufkleber-Dschungel

Für weitere Verwirrung sorgen Wursthersteller, die laut einer aktuellen Greenpeace-Befragung eine freiwillige Kennzeichnung, wie es die Supermarkt- und Discounterketten nun eingeführt haben, nicht übernehmen wollen. Dabei finden sich in Wurstprodukten dieselben Tiergattungen wie im Fleisch wieder. Wie aus der Greenpeace-Abfrage hervorgeht, wolle man ohne eine gesetzliche Verpflichtung im Wurstgeschäft auch nicht tätig werden. Greenpeace-Landwirtschaftsexpertin Stephanie Töwe sieht dies jedoch kritisch: „Die Tierhaltung lässt sich nur verbessern, wenn auch die fleischverarbeitende Industrie ihren Beitrag leistet und die Verbraucher aufklärt.“ Im Hinblick atf die Pläne der Bundesregierung ergänzt sie: „Eine weiteres freiwilliges Label, wie es Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) plant, stiftet nur Verwirrung, löst aber die Probleme nicht.“

Generell sorgt die Einführung des vierstufigen Tierhaltungslabels neben Einheitlichkeit in den Supermärkten aber auch zu noch mehr Kuddelmuddel im Label-Dschungel. Dem Verbraucher präsentieren sich beim Anblick der Produkte oft mehrere Kennzeichnungen, wie ein Biosiegel oder tierspezifische Kennzeichnungen wie das Tierschutzlabel des Deutschen Tierschutzbundes, mit dem die Tierschützer ein Mehr an Tierschutz versprechen. Zudem sorgt die nebulöse Verwendung von verschiedenen Termini, wie Tierwohl und Tierschutz, in dieser Debatte für Verwirrung. Denn gleichzusetzen sind beide Begriffe sind auf gar keinen Fall.

Immerhin: Um dem ganzen Wirrwarr entgegenzuwirken, sind sowohl Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner als auch der Handel generell offen für eine Zusammenführung der Kennzeichnungen.

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