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Richtigstellung:

Zum folgenden Artikel, erschienen im aktuellen filter, stellen wir folgendes richtig:

Liebe LeserInnen,

leider wurde aufgrund eines redaktionellen Fehlers die falsche Version von unserem filter fokus-Artikel „Unerkannte Gefahren – Wenn die Religion das Leben bestimmt“ abgedruckt. Beim folgenden Text handelt es sich um die korrigierte Version. Frau Marianne Brandl hatte auf die ersten Fragen zum Interview eher allgemein zum Thema „Religiöse Vielfalt und Sekten in Regensburg“ geantwortet und nicht wie es im abgedruckten Text scheint, spezifisch auf das Thema Sekten. Wir entschuldigen uns vielmals für diesen Fehler.

Hinweis: Wir möchten an dieser Stelle darauf verweisen, dass der Artikel aufgrund der Komplexität des behandelten Sujets lediglich einen kleinen Ausschnitt des Gesamtthemas beleuchten kann. Zusätzlich wollen wir darauf hinweisen, dass der Artikel keineswegs die Absicht verfolgt, irgendeine Organisation, Gemeinde, Glaubensgemeinschaft, Kirche o.Ä.  zu beurteilen oder zu diskreditieren. Die von Frau Brandl und Herrn Böhringer gewährten Einblicke sind somit tatsächlich nur als Einblicke zu verstehen.

Unerkannte Gefahren. Wenn die Religion das Leben bestimmt.

Wer dem Meister folgt, der ist auf dem richtigen Pfad? In Zeiten der Suche, Verzweiflung oder des Unmuts stellt man sich viele Fragen. Kirchen, Freikirchen, Gemeinschaften, Organisationen und Sekten nutzen dies gezielt aus und versuchen, Antworten zu geben. Nur steckt hinter einiger dieser „Antworten“ weit mehr als nur ein uneigennütziges Helfersyndrom. Was geschieht, wenn man in die Fänge des Fanatismus gerät, sich der geistigen Enge unterordnet und sein Leben für die Gemeinschaft aufgibt? Schließlich hört man nicht selten, dass einem in so mancher Organisation der eigene Wille genommen wird. Wir haben uns mit Frau Marianne Brandl, der Beratungsstelle des Bistums Regensburgs, unterhalten und ein Exklusivinterview mit Stefan Böhringer, einem ehemaligen Mitglied einer Freikirche, geführt.

Frau Brandl, welche Hauptaspekte bewegen die Menschen ihrer Meinung nach dazu, sich einer Organisation oder Sekte anzuschließen?

Am Anfang eines Weges steht die Sehnsucht. Als Weltanschauungsbeauftragte der katholischen Kirche werde ich häufig danach gefragt, warum Menschen sich unterschiedlichsten weltanschaulichen Gruppen außerhalb der katholischen Kirche anschließen und ob es Menschen gibt, die vielleicht besonders anfällig für konfliktträchtige Gruppen sind, also besonders labil, in einer Krise etc. Nach meiner Erfahrung sind Menschen offen auch für eine noch so konfliktträchtige oder inhaltlich fragwürdige Gruppe, wenn diese nur ihre ureigenen Sehnsüchte trifft. In der Weltanschauungsarbeit sprechen wir heute vom so genannten „Passungsmodell“ oder vom „Schlüssel- Schloss-Prinzip“. Gesundheit, Sicherheit, Erfolg, sich für eine wichtige und große Sache einzusetzen, Freunde zu haben, Gott spüren zu wollen – das sind Sehnsüchte, die Menschen derzeit dazu bewegen, sich Gruppen unterschiedlichster Couleur anzuschließen.

Immer wieder hört man von verschiedenen Sekten und auch in der Fußgängerzone wird man angesprochen. Welche umstrittenen Organisationen sind in unserer Region am stärksten vertreten?

Vielleicht darf ich eine Vorbemerkung machen. Der Sektenbegriff hat verschiedene Wurzeln und ist von daher ein schillernder Begriff. Außerdem ist er vor allem negativ besetzt und Vorurteile sind bei der Beschäftigung mit der Thematik wenig hilfreich. Sie merken selbst, dass Sie sich unsicher sind, ob heute noch von „Sekten“ oder besser von „Organisationen“ gesprochen werden soll. Seit dem Schlussbericht der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags (1998) vermeiden Weltanschauungsbeauftragte heute den Sektenbegriff, der einerseits sehr pauschal einordnet und andererseits doch wenig über die konkreten Probleme und Konflikte in einer bestimmten Gruppe aussagt und auch der religiösen und weltanschaulichen Vielfalt unserer Zeit nicht mehr angemessen ist. In der Weltanschauungsarbeit versuchen wir, das große Feld konkret zu differenzieren –   z. B. religiöse (Sonder-)Gemeinschaften, Neuoffenbarungsbewegungen, weltanschaulich geprägte Lebenshilfe – und wissen, dass es in allen religiösen Bereichen unter Umständen Konflikte und Probleme geben kann, die dann eben situationsgerecht bewertet und benannt werden müssen.

Von den großen Organisationen, mit denen sich die Weltanschauungsarbeit in je unterschiedlicher Weise beschäftigte und beschäftigt, sind im Raum Regensburg nur noch die Religionsgemeinschaft der Jehovas Zeugen und der Bruno Gröning-Freundeskreis, eine Heilungsbewegung, aktiv. Statt der großen und mittelgroßen Gemeinschaften gibt es heute aber vor allem viele kleine Gruppen und Einzelpersonen, die auf weltanschaulichem Hintergrund Lebenshilfe, Sinn und Orientierung anbieten möchten. Manche davon leider konfliktträchtig. Ich werde in meiner Beratungsarbeit jährlich etwa mit 70-80 für mich neuen Gruppen und Anbietern konfrontiert. Die Anbieter, die derzeit am stärksten nachgefragt sind, stammen aus dem Bereich Esoterik und der weltanschaulich geprägten Lebenshilfe sowie Gruppen mit fundamentalistischem Gedankengut, sei es innerhalb der christlichen Religion, des Islams, der Esoterik oder auch mit politisch fundamentalistischem Gedankengut.

Das Thema Religion ist breit angelegt und heutzutage auch bei uns pluralistisch zu sehen. Jeder soll glauben dürfen, was er möchte. Was kann „gefährlich“ an religiösen oder weltanschaulichen Organisationen werden?

Gefährlich an Organisationen kann werden, dass der Einzelne vielleicht zunächst eben gar nicht durchschaut, worin das Konfliktträchtige einer Gruppe möglicherweise überhaupt besteht. Und ehe man sich versieht, ist man schon mittendrin, hat Freunde gewonnen, das Gedankengut übernommen …

Kann eine solche Organisation auch zum Verhängnis werden?

Ja, natürlich. Verhängnisvoll bei konfliktträchtigen Gruppen kann werden, dass man sich von ihr und ihrem Gedankengut in seinen Handlungen zu sehr beeinflussen lässt. Das kann sich z. B. darin zeigen, dass ein Heiler oder Therapeut nicht mehr kritisch hinterfragt werden darf und man sich nur noch an seinen Aussagen orientiert oder gar auf notwendige schulmedizinische Versorgung verzichtet wird. Oder das Schwarz-Weiß-Denken einer Gruppe ist so groß, dass frühere Lebensphasen pauschal abgewertet werden und der Kontakt zu Familie und Freunden minimiert, wenn nicht sogar ganz abgebrochen wird. Man hat den Eindruck, der Betroffene handelt nicht seinem Willen entsprechend, sondern ganz nach den Vorgaben der Gruppe bzw. einer Einzelperson. Manchmal werden auch ganz rasch Entscheidungen getroffen, die das ganze Leben umkrempeln, also z. B. Ehepartner und Kinder zu verlassen oder den Beruf aufzugeben, was längerfristig verheerende Folgen für Psyche und Existenz des Betroffenen und aller Mitbetroffenen nach sich ziehen kann. Manche Menschen leben dann gar in einer solchen Sonderwelt, dass Angehörige dies als Realitätsverlust wahrnehmen bzw. wahrnehmen müssen.

Wie auch Herr Böhringer gleich berichten wird, ist es ja auch der Kampf mit sich selbst, der es nicht sonderlich einfach macht, wieder aus einer solchen Organisation auszusteigen. Welche Gründe gibt es noch?

Da sind zum einen die Freunde in der Gruppe, Gleichgesinnte, die man nicht verlieren möchte. Umso mehr, wenn man die Beziehungen außerhalb weitgehend abgebrochen hat. Oft erzählen Aussteiger auch, dass sie lange Zeit hofften, dass das, was sie sich eigentlich von der Gruppe ersehnten, doch noch irgendwann Realität wird – dafür halten sie vieles aus. Und ein Aspekt ist auch Scham. Manch einer hat alle Warnungen in den Wind geschlagen. Für den ist es ein schwerer Weg, zurückzukehren. Darum raten wir Angehörigen, die Tür immer offen zu lassen – sinnbildlich natürlich – und zu signalisieren, dass frühere Entscheidungen auch respektiert und in gewisser Weise verstanden werden.

Viele Menschen suchen nach Antworten, Frieden, Liebe, haben aber auch Angst. Das bringt die aktuelle Gesamtsituation wohl mit sich. Bringt das den Organisationen Zuwachs?

Ich habe den Eindruck, dass in unsicheren und komplexen Zeiten der Trend zu weltanschaulich geprägten Gruppen stärker wird. Manche von ihnen scheinen für Menschen, die nach Sicherheit suchen, eine Stütze zu sein. Andere Menschen sehen unser modernes, aufgeklärtes Leben gescheitert und wünschen sich im Intuitiven oder gar Irrationalen Lösungswege für gesellschaftliche und globale Probleme. In solchen Zeiten haben auch (Gruppen mit) Verschwörungstheorien Hochkonjunktur. Aber – jetzt nochmal positiv gewendet – in unsicheren Zeiten Überzeugungen und Werte zu haben, an die man sich halten kann, ist auch ein bedeutungsvoller Aspekt von Religion.

Gibt es denn auch hilfreiche, kostenlose Organisationen, die seriös sind?

Natürlich sind religiöse und weltanschaulich geprägte Organisationen und Gruppen nicht per se „unseriös“. Überhaupt nicht! Kennzeichen seriöser Organisationen sind für mich Freiheit des Handelns und des Denkens – auch in dem Sinne, dass Kritik geübt werden darf – und Transparenz darüber, was in der Gruppe passiert. Eine wichtige Testfrage, die ich Schülern immer mit auf den Weg gebe: Darf und kann ich ohne Scheu außerhalb erzählen, was in der Gruppe stattfindet?

Der Ausstieg.

Aber was passiert eigentlich in diesen Gruppen und wie ist das Leben als Mitglied einer solchen Organisation? Was geschieht wenn man nicht mehr Teil davon sein möchte? Wir haben uns mit Stefan Böhringer unterhalten. Er war über zehn Jahre lang Mitglied einer pfingstgemeindlichen Freikirche in Regensburg, der Freien Christengemeinde (FCG). In einem exklusiven Interview sprach er mit uns über seine Zeit dort, seine Eindrücke, aber auch von den internen Abläufen.


Es gibt verschiedene Gründe, die einen dazu bewegen einer Organisation beizutreten.


Die Beweggründe der Menschen, die sich einer stark konservativen bis fundamentalistischen, religiösen Organisation anschließen, sind sehr unterschiedlich und individuell. Es gibt in der Tat auch Mitglieder die bereits früh in der Kindheit sozialisiert worden sind. Darunter versteht man die Anpassung eines Individuums an die Gesellschaft, in der es lebt. Das Kind lernt bestimmte religiöse und kulturelle Maßstäbe, Werte und Regeln zu übernehmen.

Aber auch viele Mitglieder stoßen häufig im jungen Erwachsenenalter, wie ich damals auch mit 22 Jahren, zu einer religiösen Organisation. Die Motivation einer Mitgliedschaft kommt in den meisten Fällen meist aus existentiellen Nöten. Sie haben oft Verlustängste, sind überfordert mit all den Vorgaben und Anforderungen der modernen, westlichen Gesellschaft, haben ein zu hohes Leistungsdenken oder suchen nach Sicherheit und Halt in einer starken Gemeinschaft mit klaren Strukturen und Regeln. Man hat insgesamt das Gefühl, dass man irgendwie nicht so ganz im Leben zurechtkommt.

Aber diese Gründe alleine reichen nicht, um sich gleich einer „Sekte“ anzuschließen, denn ein Gemeinschaftsgefühl mit Strukturen und Regeln findet man beispielsweise auch in einer kommunistischen Partei oder in diversen anderen Organisationen wie Militär, Pfadfinder usw. Der Unterschied jedoch besteht darin, dass hier die religiösen Komponenten noch fehlen. Bei den Pfingstgemeinden bekommt man als Komponente das Gefühl, die absolute Sicherheit für sich zu haben, was mit einem z.B. nach dem Tod passiert. Man steht mit seinen Problemen nicht mehr alleine da, und es scheint noch mehr zu geben als das bisherige Leben außerhalb der Pfingstgemeinde.

Die individuelle Beziehung zu Gott steht für die Pfingstgemeinden im Vordergrund. Der Glaube an Heilung durch Gott, wie er in der Bibel versprochen wird, ist sehr präsent. Was bedeutet das für die Mitglieder?

Einer ihrer Glaubenssätze besagt, dass die Beziehung, die die Mitglieder mit Gott führen, sich im ganzen Leben widerspiegeln wird. Sprich, das Leben wird von nun an segensreich, man geht nicht mehr alleine durchs Leben und auch materiell wird es einem nun besser gehen. Nur der, der auch etwas für Gott opfert, wird auch reicht beschenkt werden. Die Mitglieder bezahlen u.a. 10 % des Bruttogehaltes an die Organisation. Das Leben soll dann in allen Facetten gesegnet sein. Sei es die Gesundheit oder das Finanzielle – das wird sich alles regeln, wenn du dein Leben Gott widmest. Er sorgt für dich. Ich denke, das ist auch DER Punkt, der bei vielen zieht, da sie nicht wissen, wie es in ihrem Leben momentan weitergehen soll…

Die strikte und kommerzielle Abgrenzung zum Christentum ist bewusst gewählt?

Die Abgrenzung vom kommerziellen Christentum ist tatsächlich ganz wichtig fürs Verständnis, das haben Sie ganz richtig gesehen. Allerdings kann ich jetzt hier erfahrungsgemäß nur für die Freikirchen sprechen. Alle Freikirchen haben ihre Wurzeln in gewisser Weise aus dem Pietismus oder dem englischen und amerikanischen Puritanismus. Der Pietismus und der Puritanismus sind moderne, im Sinne von nachaufklärerisch, religiöse Formen, die das Individuum ganz stark in den Vordergrund stellen. Hier steht man als einzelnes Individuum in einer ganz direkten Beziehung zu Gott. Zwischen dieser engen Beziehung herrscht keine kirchliche Hierarchie, kein Priester, Papst oder Vatikan. All diese autarken, religiösen Gruppierungen wollen sich prinzipiell von dem etablierten Christentum abgrenzen, da ihrer Sicht nach ein gewisser Verfall der Kirche stattfindet. Man möchte Kirche immer wieder erneuern. Diese Organisationen verstehen sich zumindest immer als Erneuerungsbewegungen.

Die Kirche, so wie es der Mainstream lebt und darstellt, sei vom „biblischen“ Ideal immer mehr abgefallen. Man will wieder zurück zu den ideellen Wurzeln des Urchristentums, denn Kirche sei nicht mehr wie es von der Bibel oder von Gott „eigentlich“ gewollt war. Andererseits will man sich von den angeblich unbiblischen, kirchlichen Traditionen wie Heiligenverehrung, Marienwallfahrten, prunkvollen Kirchenbauten oder Christen, die nur unregelmäßig die Sonntagsmesse besuchen, strikt abgrenzen. Sie unterstreichen auch immer wieder die Unterschiede zum traditionellen Gottesdienst, der sehr streng und ehrfürchtig wirkt. Die Gottesdienste der FCG wirken dagegen sehr modern, emotional – von spontanem Applaus bis kollektivem Tränenausbruch ist alles möglich. Es werden quasi streng konservative Werte in moderner Verpackung dargeboten. Diese strikte Abgrenzung zum kommerziellen Christentum und der allgemein schlechte Ruf der Kirche werden den potentiellen und aktiven Mitgliedern bereits von Anfang an stark eingeflößt. „Bei uns bist DU wichtig!“ „Du vor Gott allein!“ „Alles ist freiwillig!“

Man könnte es also als eine tiefe Überzeugung des Glaubens sehen, die einem unterbewusst den freien Willen nimmt.

Das mit der Freiheit ist teilweise echt eine leere Versprechung. Es herrscht tatsächlich eine gewisse Blauäugigkeit, denn diese Organisationen haben auch ihre eigenen Traditionen, Regeln, Vorschriften und Hierarchien, an denen sich die Mitglieder mehr und mehr orientieren müssen, je weiter sie in die Strukturen der Freikirchen vordringen.
Ich glaube jedoch, dass die meisten Anhänger und auch die Prediger oder Pastoren es wirklich ernst meinen und überzeugt sind von dem, was sie versprechen. In gewisser Weise ist, aus theologischer Sicht, auch so manches Wahres. Ich würde trotzdem behaupten, dass die Pfingstgemeinden hier in der Region bedenkenswert sind. Generell sei vorweg gesagt, dass das Attribut „frei“ bei den Freikirchen, unterschiedlich verstanden und ausgelegt wird.

Das Gefährliche dieser Organisationen beginnt dort, wo das Individuum immer weiter in die Strukturen eintaucht und Verantwortung in der Organisation übernimmt. Das kann von außen wie die Umpolung des Denkens und Gehirnwäsche aussehen. Aber tatsächlich ändert sich auch dein eigenes Denken. Das frühere soziale Umfeld wird zunehmend anders und oft auch sehr ablehnend wahrgenommen. Vielfach kann das auch zum Kontaktabbruch und zur Isolation führen. Und natürlich können die Predigten der Pastoren und Leiter auch sehr einschüchternd sein, wenn man gesagt bekommt, man verliere quasi sein Seelenheil wieder, wenn man sich zu sehr mit „der Welt“ da draußen einlässt.

Wer sich absetzt, verliert beinahe alle sozialen Kontakte?

Das Recht auf Selbstbestimmung wird zumindest stark eingeschränkt. Dabei geht es vor allem um geistige und sogar sexuelle Selbstbestimmung. So gibt es zum Beispiel in der FCG ein Mentoren System, dem man sich, will man aktiver auch mitarbeiten, unterordnen muss. Diesem Mentor muss man dann schon auch mal sein Innerstes entäußern.   Es ist natürlich sehr bedenklich, dass einem vielfach eingetrichtert wird, dass der Teufel bzw. das Böse einem all die negativen Gedanken, wie Zweifel, Versuchungen und Misstrauen einpflanzen will. Wir (die FCG) sind gut und all diejenigen, die uns anzweifeln oder kritisieren, werden vom Teufel getestet oder gar beeinflusst.

Wie kam es letztendlich zum Ausstieg?

Eigentlich wollte ich in dem Pfingstbund, dem die FCG Regensburg angehört, sogar Pastor werden. Dazu ging ich 2005 auf eine sogenannte Bibelschule, dem Ausbildungszentrum dieses Bundes. Allerdings traf ich hier, gerade was ein, zwei Dozenten anging, auf ein offeneres Denk-Umfeld. Man setzte sich gründlicher und kritischer mit den biblischen Texten auseinander. Dazu kam, dass ich anfing auch Philosophisches und Theologisches aus den Bibliotheken umliegender Unis zu lesen. Diese Kombination aus Menschen die offener dachten und der intellektuellen Auseinandersetzung mit den existentiellen Themen, die mich beschäftigten, hat in mir wirklich etwas angestoßen, sodass ich den Weg, den ich eingeschlagen hatte 2008 abbrach. Allerdings fiel ich dann in ein echtes Loch. Ich hatte Depressionen und Angstzustände, weil ich irgendwie immer noch dachte, dass eigentlich ich an allem Schuld sei. 2011 habe ich dann auf Anraten eines sehr guten Freundes meine Leidenschaft zu Philosophie und Theologie umgesetzt und diese Studiengänge an der Uni Regensburg angefangen zu studieren und machte darin 2016 auch meinen Master. Das war echte Therapie für mich!

Es gibt in Deutschland aber wenig professionelle Hilfe für die Aussteiger, richtig?

Man fühlt sich nach solchen Situationen oft allein gelassen. Zudem machten sich bei mir langsam physische und psychische Beschwerden bemerkbar. Körperliche und psychische Krankheitsbilder wie Angstzustände, Panikattacken, Hautausschläge und Magenbeschwerden sind leider keine Seltenheit. Das war für mich dann auch der Punkt, endgültig zu handeln. Nachdem ich meinen Mentoren mein Vorhaben geschildert hatte, nahmen sie sich diesem aber auch gleich an und akzeptierten meine Entscheidung. Freikirchen betonen immer wieder, dass Mitglieder jederzeit problemlos austreten können. Auch ich stellte fest, dass man mich in Ruhe ziehen ließ.

Ein weiteres Problem ist, dass es in Deutschland leider nicht genügend Anlaufstellen oder Hilfe für Aussteiger und deren Angehörige gibt. Ein Grund hierfür ist auch die Tatsache, dass es in Deutschland quasi keine Religionspsychologie mehr gibt, da die heutige Psychologie rein empirisch arbeitet und der Meinung ist, dass man nur das wissenschaftlich untersuchen kann, was messbar ist. Und Religion lässt sich nicht messen. Ob nun religiöse, esoterische oder politische Gruppe – in jedem Fall ist Vorsicht geboten. Natürlich ist nicht alles schlecht und viele Gruppen sind sicherlich unbedenklich. Weil solche Organisationen auf den ersten Blick meistens harmlos erscheinen, sollte man trotz allem jederzeit wachsam sein.

Vielen Dank für das Gespräch und die Offenheit.


Es ist zwar kein einfacher Weg, aber Erfahrungen wie die von Stefan Böhringer zeigen, dass ein Ausstieg aus einer Organisation und ein anschließender neuer Lebensanfang möglich sind. Wer Hilfe sucht, sich unsicher ist oder sich generell für dieses Thema interessiert, kann sich an die verschiedenen Beratungsstellen wenden. Egal ob direkt betroffen oder angehörig – die Mitarbeiter der Anlaufstellen, wie die der Fachstelle für Sekten- und Weltanschauungsfragen des Bistums Regensburg, helfen jederzeit bei der Suche nach Antworten und Lösungswegen.

Fachstelle für Sekten- und Weltanschauungsfragen im Bistum Regensburg

Dipl. Theol. Marianne Brandl
Obermünsterplatz 7
Besucher-Adresse: Emmeramsplatz 10 (noch bis Ende 2019)
93047 Regensburg
Tel.: 0941/5972431
E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

 

Ansprechpartner für neue religiöse und geistige Strömungen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern

Dr. habil. Haringke Fugmann
Gabelsbergerstraße 1
95444 Bayreuth
Tel.: 0921 - 78775916
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Ansprechpartner für Sekten, Psychogruppen, Neureligionen, Weltanschauungen Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern

Dr. Matthias Pöhlmann
Karlstraße 18
80333 München
Tel.: 089 5595610
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