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Vor rund zwei Jahren machte die Nachricht vom ersten Wolfsrudel im bayerischen Wald die Runde. Zurück im Jahr 2006 setzte man der vermuteten Gefahr durch Problembär Bruno ein Ende. Und erst vor wenigen Wochen wurde ein Jäger aus dem Landkreis Cham wegen der illegalen Tötung eines Luchses zu einer Geldstrafe verurteilt. Die Rückkehr großer Wildtiere in heimische Gefilde sorgt immer wieder für Aufsehen und ruft Aktionen des Menschen auf den Plan, die mit Artenschutz nicht mehr viel am Jägerhut haben.  

Cham, 12. September 2019: Ein Jäger steht vor dem ansässigen Amtsgericht und wartet auf sein Urteil. Er soll in einem Waldstück im Lamer Winkel in einer Lebendfalle in Form einer Metallbox einen Luchs zuerst gefangen und dann mit einer Kurzwaffe erschossen haben – ein Verstoß gegen Paragraph 71 des Bundesnaturschutzgesetzes, in dem ein Vergehen gegen eine streng geschützte Tier- oder Pflanzenart unter Strafe gestellt wird. Der Jäger selbst hatte die Vorwürfe stets bestritten. Nach seinen Aussagen habe es sich um eine Fuchsfalle seines Vaters gehalten. Zeugen erzählten jedoch vor Gericht von den Prahlereien des Angeklagten über seine Wilderei. Das Gericht zeigte sich letzten Endes von der Schuld des Jägers überzeugt und verurteilte ihn zu einer Geldstrafe von 3.000 Euro wegen Wilderei und illegalem Waffenbesitz. Zeitweise stand der Angeklagte sogar noch wegen weiterer illegaler Tötungen von Wildtieren im Visier der Ermittler, darunter auch ein Fall aus dem Jahr 2015, der bundesweit für Schlagzeilen sorgte. In einem Waldstück im Lamer Winkel fand man vier abgetrennte Luchs-Vorderläufe. Eine Provokation gegen den Wildtierschutz? Die Frage ist bis heute offen. Eine Verwilderung der Sitten? Das muss jeder für sich selbst beantworten. Fest steht: Intensive Ermittlungen vonseiten der Staatsanwaltschaft und der Polizei mündeten im Dezember 2016 zwar in eine Hausdurchsuchung bei dem Mann, gefunden wurden Pfoten und Ohren eines Luchses. Diese Luchstötung sowie eine Beteiligung am Fall der abgetrennten Luchsbeine im Waldstück konnten ihm allerdings nicht nachgewiesen werden. Genauso wenig wie die ebenfalls vermutete Erlegung eines Wolfes.

Goodbye, Bruno! Hello, Isegrim?

Apropos Wolf. 2017 gab es in Bayern den ersten wilden Wolfsnachwuchs – seit rund 150 Jahren wohlgemerkt. In Westeuropa in der Mitte des 19. Jahrhunderts durch Verfolgung und Zerstörung seines Lebensraumes ausgerottet, bewegt er sich seit dem Jahr 2000 wieder auf gesamtdeutschem Boden und dazu noch die Gemüter, vor allem von Landwirten und Jägern, die um ihren Wild- und Viehbestand fürchten. Die Population ist auch in Bayern in den letzten Jahren leicht gestiegen und in vier Regionen sind standorttreue Wölfe zu beobachten – Nationalpark Bayerischer Wald, Truppenübungsplatz Grafenwöhr, Veldensteiner Forst und Rhön. Dennoch ist der Canis Lupus nach wie vor vom Aussterben bedroht und Teilnehmer auf der Roten Liste der bedrohten Tierarten. Und selbst wenn er in Deutschland wieder öfter zu finden ist, eine Wolfs-Plage droht nicht, da ein Wolfsrudel nur zwei bis acht Tiere in seinem Revier duldet – eine Übervermehrung bekämpfen sie deswegen selbst regulierend. Entgegen dem landläufigen Märchenglauben à la Brüder Grimm frisst Isegrim außerdem weder kleine Kinder mit roten Mützen, noch ältere Damen. Ganz im Gegenteil: Deutschlandweit gibt es seit seiner Rückkehr keinen einzigen dokumentierten Zwischenfall zwischen Wolf und Mensch, in anderen Ländern gibt es eine geringe Zahl, die jedoch in den meisten Fällen mit Tollwut in Verbindung steht – eine Krankheit, die in Deutschland als ausgerottet gilt. Auf der buchstäblichen Abschussliste steht er bei einigen Waffenbesitzern trotzdem. Denn neben Unfälle auf Straßen und Bahnschienen gefährden illegale Tötungen den Bestand der Tiere mit am meisten.
 
Zwar nicht illegal, aber dennoch erlegt wurde 2006 Bruno, auch bekannt unter seinem wissenschaftlichen Namen JJ1. JJ steht für die Namen seiner beiden Eltern – Jurka hieß seine Mutter, Joze sein Vater –, die Eins für ihren ersten Nachkommen, Braunbär Bruno. Im Sommer 2006 spazierte Bruno, der ursprünglich aus Italien kam, durch Bayern. Während er vom damaligen Umweltminister Werner Schnappauf zunächst noch herzlich willkommen geheißen wurde, schlug dessen Gastfreundlichkeit binnen kürzester Zeit ins Gegenteil um: Bruno sei „auffällig“, um nicht zu sagen „außer Rand und Band“. Der Grund für sein propagiertes frevelhaftes Verhalten lag in seiner Natur als Wildtier begründet: Bruno hatte mehrere Schafe gerissen, obendrein mussten noch einige Hühner ihre Federn lassen und selbst vor einem Meerschweinchen machte er nicht Halt. Als er dann noch unerschrocken durch Ortschaften spazierte, war das Maß endgültig voll. Schäfer und sonstige Landwirte waren alarmiert, die Bevölkerung zog mit und Edmund Stoiber, der damalige Ministerpräsident, verkündete letztendlich Brunos Todesurteil: „Es ist ganz klar, dass dieser Bär ein Problembär ist, und da gibt es nur die Lösung, ihn zu beseitigen.“ Gesagt, getan. Ein fünfköpfiges Sondereinsatzkommando mit Bärenerfahrung aus Finnland rückte mitsamt seinen Hunden an, allerdings ohne Erfolg. Bruno marschierte weiter. Bis zum 26. Juni 2006. Drei erfahrene Jäger legten sich in der Nähe einer Alm in der Region Chiemgau auf die Lauer, um 4.50 Uhr im Morgengrauen erfolgte der tödliche Treffer: „Der Bär war sofort getötet und schmerzlos erledigt“, verkündete Otmar Bernhard, Staatssekretär des bayrischen Umweltministeriums, den fragwürdigen Erfolg. Fragwürdig deshalb, weil Bruno für seine scheinbare Außer-Rand-und-Band-Attitüde nichts konnte, der Mensch hingegen sehr wohl. Sein Verhalten wurde Bruno von seiner Mutter Jurka anerzogen, die wiederum in Trentino von Hoteliers als Gästeattraktion angefüttert wurde. Die so entstandene Fehlprägung auf den Menschen gab die Bärin dann an ihre Nachkömmlinge weiter – Problembär Bruno war geboren.    

Zwischen Agitation und Aktion

Doch egal ob Bär, Wolf oder Luchs – alle drei waren lange Zeit in Bayern ausgestorben und stehen auch nach ihrer zumindest partiellen Rückkehr auf der Roten Liste der bedrohten Arten. Eine kleine Portion Fremdelei gegenüber den Neuankömmlingen ist verständlich, sie als Problem zu deklarieren oder zum Abschuss freizugeben, ist weder für den Artenschutz noch für den Angst- oder Besorgnisabbau aufseiten der Gesellschaft förderlich. Dies geschah jedoch nicht nur bei Bruno, sondern passiert mittlerweile auch beim Wolf. Den Grundstein legte der „Aktionsplan Wolf“ zu Beginn dieses Jahres, wonach Wölfe auch künftig in Ausnahmefällen zum Schutz von Weidetieren abgeschossen werden dürfen. Noch dazu habe die Sicherheit des Menschen oberste Priorität, heißt es vonseiten der Staatsregierung. Dass der Mensch dem Wildtier in der Regel aber gar nicht begegnet, solange sich der Zweibeiner nicht bewusst auf die Suche nach ihm begibt, steht nicht dabei. Zudem können gerade in Alpenregionen, in denen Schutzzäune schwer anzubringen sind, auch Herdenschutzhunde oder die nächtliche Bestallung der Tiere helfen, den Wolf fernzuhalten. Beides habe sich nämlich laut Naturschutzverbänden ebenfalls als gute Alternative zu Elektrozäunen herausgestellt. Anstatt das Gewehr zu zücken und Wildtiere oder jene die es werden wollen, wie vor vielen Jahren Kuh Yvonne, zum Abschuss freizugeben oder sie aus Spaß an der Trophäe zu jagen, braucht es finanzielle Unterstützung für Weidetierhalter und ein deutliches Zeichen in Richtung all jener, die jährlich illegal das Artensterben vorantreiben – auch in Deutschland.

2017 führte die Kriminalstatistik 1.020 Fälle von Wilderei auf, jährlich lag die Zahl in den vergangenen zehn Jahren nie unter 850, und die Bundesregierung geht in diesem Bereich zudem von einer hohen Dunkelziffer aus. Die Motive der Täter bleiben ein großes Fragezeichen. Der WWF sieht etwa die „persönliche Abneigung gegenüber den rückkehrenden Beutegreifern“, die „Angst vor Übergriffen auf eigene Nutztiere“, die „Konkurrenz um jagdbares Wild wie Reh und Rothirsch“ oder den „Wunsch nach einer seltenen Trophäe oder eines Pelzes“ als mögliche Gründe an. Den Kriminellen fallen dabei aber nicht nur große Säugetiere zum Opfer. Auch Seeadler, Eulen, Fischotter oder Biber werden gefangen, vergiftet oder abgeschossen. Der Fall der illegalen Luchstötung in der Region Cham ist dabei nur eines der jüngsten Beispiele. Einen Tag vor der Urteilsverkündung, am 11. September 2019, unterzeichneten der Bayerische Jagdverband e.V. (BJV), der Landesbund für Vogelschutz in Bayern e.V. (LBV) sowie die Umweltstiftung WWF Deutschland (WWF) die sogenannte „Regensburger Erklärung gegen Wilderei und Artenschutzkriminalität in Bayern“ und fordern eine „Anti-Wilderei-Offensive der bayerischen Behörden“. Die illegale Tötung streng geschützter Wildtiere sei kein schließlich „Kavaliersdelikt“. Außerdem plädieren die Verbände für eine zentrale Dokumentation und die Veröffentlichung aller Vergehen gegen den Artenschutz in Bayern: „Diese Straftaten müssen konsequent verfolgt werden“, so die Unterzeichner und schlagen damit den richtigen Weg ein.  

Jedes neue Wildtier in bayerischen Gefilden wird sorgfältig dokumentiert und analysiert, mit ihren Gegnern wird hingegen in den meisten Fällen ziemlich nachlässig umgegangen, wenn sie überhaupt ausfindig gemacht werden können. Vor dem Hintergrund dieser Unverhältnismäßigkeit drängt sich die Frage auf, wie viel ein Tier oder vielmehr eine komplette Tierart eigentlich wert ist. 3.000 Euro? Tollkühner Ansatz. Fest steht: Es gibt genügend Mittel, sich mit Wildtieren, auch jenen, die lange Zeit nicht mehr im bayerischen Wald oder in Deutschland beheimatet waren, zu arrangieren, auch wenn diese Wege meist nicht so bequem sind wie das Ausmerzen der jeweiligen Art. Der Griff zum Giftköder, zur Falle oder zur Waffe wie früher in der Wildnis, als es ums bloße Überleben ging, ist in der Zivilisation des 21. Jahrhunderts keine Option, sondern schlichtweg die Ignoranz menschlicher Verfehlungen.
Bildquelle: Kamerafoto / sonstige | Unsplash

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