Rina Wolf lässt großartige Kunstwerke entstehen, jedes Teil ist ein Unikat. Die Materialien dafür findet sie ganz zufällig – ob auf Antiquitätenmärkten, in Second-Hand-Läden oder auf alten Dachböden. Dabei gilt: Je ungewöhnlicher, desto besser. So landen durchaus auch mal Spiel-zeugautos oder Baustellenschrott auf ihren Designs. Wo andere auf wiederkehrende Fashion-Trends setzen, kreiert sie „Wearable Art“: Tragbare Kunst, die Botschaften transportiert und Stärke vermitteln soll – so wie sie auch ihr selbst Kraft gegeben haben.
Entstanden ist diese Form der Kunst in einer Zeit, in der sie in einer Gewaltbeziehung mit ihrem Ex-Partner lebte – als leiser Widerstand, der mit der Zeit lauter wurde und ihr half, den Weg zurück zu sich selbst zu finden.
Wer ist Rina Wolf?
Rina Wolf ist in Regensburg längst keine Unbekannte mehr, doch für diejenigen, die von ihr und ihrer Kunst zum ersten Mal hören, stellen wir sie kurz vor: Sie stammt ursprünglich aus München, ist aber mit ihrer Familie bereits mit drei Jahren in unsere schöne Domstadt gezogen. Seitdem ist sie hier geblieben – mit kleinen Unterbrechungen. 2024 etwa hat sie ein Jahr in Miami gelebt. Und das war nicht ihr erster Amerika-Aufenthalt: Bereits im Alter von 13 Jahren zog sie mit ihrer Familie für einige Zeit nach Alabama. Dort gewann sie einen staatenweit ausgeschriebenen Kunstwettbewerb – eine außerordentliche Auszeichnung, die die Teenagerin damals selbst nicht begriffen hat: „Für mich war Kunst einfach ein Schulfach, in dem ich sehr gut war.“ Eine außergewöhnliche Begabung für Kunst und Handwerk, die ihr in die Wiege gelegt wurde, wäre auch eine Erklärung dafür, warum die 32-Jährige heute ohne Studium oder Ausbildung im Design-Bereich so einzigartige Stücke in Handarbeit anfertigt. Auch auf Anleitungen aus dem Netz verzichtet sie – stattdessen experimentiert sie selbst, indem sie Materialien miteinander verbindet, die sonst niemand zusammenbringen würde. Sie hat zum Beispiel eine Speisekarte in eine Lederjacke gegossen und so miteinander verschmolzen.

Beim Shooting auf dem Dach vom Hotel Salzburg trägt Rina ihr neuestes veröffentlichtes Werk: Die „Guess-Upcycling Japan Design“-Jacke. Die Patches hat sie aus Tokio mitgenommen. © Mathias Scheuringer aus Salzburg, Österreich, Pirart.at
Trotz dieser Gabe und umwerfender Designs kann sie aktuell noch nicht von ihrer Kunst leben. Hauptberuflich arbeitet sie im Vertrieb und war zudem lange Zeit als Modebloggerin aktiv.
Zerstörerische Kunst: „Ich lasse mich nicht unterkriegen“
„Meine Philosophie ist deconstruct und reconstruct, also nimm etwas auseinander, zerstöre etwas, um es danach neu zu gestalten“, beschreibt die außergewöhnliche Designerin ihr Konzept. Dabei geht es um viel mehr als die Zerstörung: Jedes einzelne Stück scheint eine individuelle Geschichte zu erzählen. Rina selbst sagt, dass ihre Kunstwerke Stärke vermitteln sollen, wie sie auch ihr in einer schweren Zeit Kraft gegeben haben. Denn der Ursprung ihrer künstlerischen Reise war alles andere als leicht.
Rinas Exfreund wurde ihr gegenüber im Laufe der Beziehung immer wieder gewalttätig – er zerstörte auch Kleidung und Taschen von ihr: „Alles, was mir etwas bedeutet hatte, hat er in seiner Rage ohne Grund zerschnitten oder zerfetzt. Am Anfang war ich natürlich traurig darüber, aber nach einer Weile habe ich mir gedacht: Ich lasse mich nicht unterkriegen und habe die Fetzen bewusst – auch um ihn zu ärgern – zu einer neuen Jacke zusammengebaut.“ Sie erzählt von einem Stück, das sie provokativ mit den Worten „Hell was Boring“ versah.
Nach eineinhalb Jahren Gewaltbeziehung schaffte sie es, sich im April 2019 von ihm zu trennen. Sie geht sehr offen mit ihrer Vergangenheit um und möchte anderen Betroffenen Mut machen, diesen Schritt ebenfalls zu wagen und sich zu trennen. „Das ist nicht immer einfach. Nicht nur aus Angst, sondern weil man diese Person trotz allem wirklich noch liebt. Wenn mir das früher jemand erzählt hätte, hätte ich es nicht geglaubt, aber ich habe meinem Exfreund immer wieder verziehen und gehofft, dass er wieder der Mann wird, in den ich mich verliebt habe.“
Im Nachhinein betrachtet war ihre Kunst wohl eine psychologische Bewältigungsstrategie. Rina spricht heute von einer Art Kunsttherapie, der sie sich unterbewusst selbst unterzogen habe. Gleichzeitig betont sie, wie wichtig professionelle Unterstützung gewesen wäre. Ihr Appell richtet sich an Frauen und Männer, die Ähnliches erlebt haben: „Eine Therapie zu machen und Hilfe anzunehmen, ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Mut.“
Betroffene können sich zudem kostenlos und anonym Hilfe holen: Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“: 116 016
Hilfetelefon „Gewalt an Männern“: 0800 1239900
Seitdem ist Rina single. Mit ihrer Vergangenheit hat sie abgeschlossen, ist wieder glücklich – und nun auch offen für eine neue Beziehung. Auch im Gespräch wirkt sie positiv, fröhlich und offen, sie strahlt und scheint das Leben in all seinen Facetten zu genießen. Doch die Kunst, Dinge zu zerstören und daraus etwas Neues, Besseres entstehen zu lassen, ist geblieben.
„Exboyfriend‘s Shirt“
Mittlerweile designt sie seit über sieben Jahren ihre eigenen Fashionstücke. Zu einigen davon verrät sie uns die Hintergrundgeschichte. Auf einer Jacke steht: „This is an emotional emergency product“. „Die Notfall-Tapes sollen die Botschaft visuell verstärken und zeigen, dass man sich selbst wieder ,reparieren‘ kann“, beschreibt Rina.
Auf einem weiteren Stück – einem karierten Hemd – steht in goldenen Buchstaben „Exboyfriend’s Shirt“. Darunter prangt ein Schriftzug in Weiß: „In loving memory“ – das Wort loving ist durchgestrichen. Dabei handelt es sich um ein Kleidungsstück, das ihr Exfreund nach der Trennung bei ihr vergessen hatte. Das einst mit negativen Emotionen behaftete Teil soll nun jemand anderem Mut machen. „Die Frau, die es gekauft hat, hat damit sogar Shootings gemacht, auf denen sie vor Freude springt“, erzählt die Designerin.
Doch Rina Wolf kann auch witzig und setzt provokativ auf echte „Boss Bitch Vibes“. So steht auf einer Jacke: „What is your favorite position? I said CEO“. Eine andere knallige gelb-blaue Jacke mit dem Motiv der Disney-Prinzessin Cinderella ziert wiederum der Schriftzug „No Prince. No Problem“.

Rina Wolf posiert mit ihren Looks gerne vor der Kamera. © Michael Sturm @sturmmichael
„Mit den Sachen fühle ich mich viel freier, viel besser, viel bunter und viel größer“
Ob tiefgründig, witzig oder schlagfertig, die Kraft und das Selbstbewusstsein, die in Rinas Kunstwerken stecken, trägt sie an ihre Kund*innen. „Viele vernetzen sich nach einem Kauf über Instagram mit mir und teilen ihre ganz persönliche Story. Es freut mich immer unglaublich zu hören, wenn jemand durch meine Kunst einen Weg findet, Emotionen zu verarbeiten und Stärke zu entwickeln“, zeigt sich Rina gerührt. Eine glückliche Käuferin schrieb ihr: „Mit den Sachen fühle ich mich viel freier, viel besser, viel bunter und viel größer“ – ein Kompliment, wie es wohl kaum stärker ausfallen könnte.
„Destroyed by Rina“ – Wenn der Schuh zum Ärmel wird
Neben kreativem Feingefühl stecken aber auch handwerkliches Geschick und einzigartige Materialien hinter ihrer Kunst: Um die perfekten Basisstücke für ihre Kunst zu finden, stöbert sie in Second-Hand-Läden statt in Modeketten. „Ich liebe es, originelle oder besondere Fundstücke zu entdecken“, so die Designerin. Als Basis verwendet sie besonders gerne Stücke aus Leder, ausgefallenen Stoffen und allem, was Struktur hat – wie etwa Samt oder Netzstoff.
Für den Upcycling-Prozess kauft sie keine neuen Stoffe, sondern gewinnt ihre Materialien aus ausgedienten Kleidungsstücken, Topflappen oder anderen schönen Dingen. Bei ihr kommen Gegenstände und Materialien aus dem Haushalt, dem Automobilbereich, Karnevalskisten, Kinderzimmer, Dachböden oder Antiquitätenmärkten zum Einsatz – sogar Baustellenschrott hat schon seinen Weg in ihre Designs gefunden. Auf einer Baustelle entdeckte sie Schalldämmmaterial aus dem Tonstudio – und verwandelte es kurzerhand in überdimensionale, softe XXXL-Spikes. „Alles, was nicht mehr geliebt wird, wird von mir modifiziert, zweckentfremdet und in neue Schätze verwandelt“, beschreibt Rina. So hat sie etwa in eine ihrer Jacken einen ganzen Stiefelschaft eingearbeitet.

Kreationen der Designerin. © Rina Wolf
Sie ist zudem ein großer Fan von sogenannter Textilmanipulation: „Ich habe zum Beispiel einmal einen gewöhnlichen Trenchcoat genommen und ihn mit Feuer abgefackelt, also Brandlöcher erzeugt und so eine komplett neue Struktur und Farbgebung generiert. Ich liebe Textil- und Strukturexperimente, oft kommen dabei ganz verrückte Sachen zustande“, schwärmt Rina. Wenn sie von ihrer Kunst erzählt, ist ihre Begeisterung in jedem Wort spürbar. „Immer wenn ich etwas Neues kreiere, das andere nicht haben, drehe ich vollkommen ab“, fasst die Designerin lachend zusammen.
Wie lange es dauert, bis ein solches Kunstwerk entsteht, könne sie nicht genau sagen. Es gebe Designs, die in 8 bis 14 Stunden fertig seien, mit anderen dagegen verbringe sie Wochen.
Wearable Art
„Das, was ich mache, ist mehr Kunst als Mode. Manches ist auch ehrlich gesagt nicht bequem“, lacht sie. So habe sie zum Beispiel eine Jacke mit Spielzeugautos bestückt, die zwar extrem schwer gewesen sei, aber toll ausgesehen habe. Deshalb bezeichnet sie ihre Kunstwerke nicht als „wearable fashion“, sondern „wearable art“. Das klingt bereits jetzt nach Haute Couture.
Kritisch merkt Rina jedoch an, wie schwierig es sei, ihre ausgefallenen Techniken in herkömmliche Produktionsprozesse zu integrieren. „Ich schmelze Stoffe oder verändere Materialien so stark, dass es kaum vorstellbar ist, das maschinell umzusetzen“, erklärt sie. Jedes Teil soll einzigartig sein, „für mich ist genau das Unperfekte das Perfekte.“ Eine limitierte Auflage könnte sie sich vorstellen – aber nur, wenn sie entweder per Hand gefertigt würde oder mit speziell angepassten Maschinen.
Kunst am Strand von Miami
Kreative Impulse für ihre Kunst begegnen Rina auch häufig auf Reisen. Sie liebt es, unterwegs zu sein, spontan zu sein. So entscheidet sie sich im Januar 2024 kurzerhand dazu, für ihren Hauptjob im Vertrieb nach Miami zu ziehen. Ein Jahr ist sie dort geblieben. Immer an ihrer Seite: ihr Hund Bella-Ciara. Durch einen glücklichen Zufall findet sie eine relativ günstige Wohnung im Nachbarort von Miami, der den schönen Namen Hollywood trägt und in direkter Nähe zum Strand liegt. „Das war absolut surreal“, erinnert sich Rina. Und obwohl sie dort weitaus mehr als 40 Stunden pro Woche gearbeitet hat, fand sie immer Zeit für ihre Kunst: „Ich bin oft mit gepackter Tasche und manchmal sogar mit einer Staffelei und Riesenleinwand von meiner Wohnung aus runter an den Strand gelaufen, hab mich am Wasser ausgebreitet und dort designt“, lässt sie uns an ihrem Leben in Florida teilhaben.

Rina und ihr Hund genießen die Miami-Luft. © Rina Wolf
Ihr Miami-Vibe wirkt sich damals auch auf ihre Designs aus – es wird bunter, pastelliger und fröhlicher. Statt Jacken kreiert sie viele Kleider und Bikinis und es entsteht eine eigene Palm-Beach-Kollektion.
Die größere Inspiration liegt im „düsteren“ Tokio
Und doch fand sie in Miami nicht die Inspiration, die sie gesucht hat. Erst diesen Mai war sie dann für zwei Wochen in Tokio: „Die Modewelt ist dort eine völlig andere – ernsthafter, düsterer, viel ripped stuff und allgemein ist alles ein bisschen dirty“, erzählt sie. Für sie steht fest: Tokio mit seinen Menschen und der „krassen Fashion-Kultur“ inspirieren sie weit mehr als Miami, das ihrer Meinung nach „eine oberflächliche, rosarote und pastellblaue Glitzerwelt“ sei. In der Tokio-Mode stecke „mehr Gedanke, mehr Prinzip, mehr Tiefe.“
Werden sich die Botschaften mit Rina verändern?
Doch was passiert, wenn Rina wieder in einer glücklichen Beziehung ist? Werden sich die Botschaften dann verändern? „Das ist eine gute Frage“, lacht die Unternehmerin. „Dann würde ich denke ich tatsächlich andere Botschaften wählen.“ Unabhängig davon, wie sich ihre Zukunft entwickle, werde sie aber ein Fan von tiefgründigen Statements bleiben: „Ich finde Botschaften schön, die nicht jeder gleich versteht, sondern auf sich und seine eigene Geschichte beziehen kann.“

Rina modelt für ihre Kollektionen selbst. © Ramona Gansbiller
„Ein 9-to-5-Job ist nichts für mich“
Die Ideen für ihre Designs kommen Rina häufig beim bewussten Beobachten der Umgebung, tauchen manchmal aber auch auf, wenn sie gar nicht damit rechnet – zum Beispiel, wenn sie im Auto sitzt und Musik hört. „Wenn mir eine Idee kommt, würde ich am liebsten sofort zu meiner Jacke fahren und daran weiterarbeiten. Ein klassischer 9-to-5-Job wäre daher nichts für mich“, schmunzelt sie. Auch wenn sie sich das manchmal wünschen würde, ist sie sich nicht sicher, ob sie ihre Kunst hauptberuflich machen könnte: „Wenn ich gezwungen wäre, täglich zu designen, hätte ich Angst, dass plötzlich die Ideen ausbleiben.“
Wir feiern die Einzigartigkeit
Ob Rina Wolf irgendwann von ihrer Kunst leben kann oder ihre Werke über die Fashion-Weeks dieser Welt laufen, wird sich noch zeigen. Doch vielleicht ist das auch gar nicht so wichtig.
„Wenn sich irgendwann eine Möglichkeit ergibt, die sich richtig anfühlt, bin ich natürlich offen dafür.“ Bis dahin genießt Rina es, ihre Kunst kreativ auszuleben und neue Kunstwerke zu erschaffen, die nicht nur auffallen, sondern auch etwas bewegen.
Jedes ihrer Stücke trägt einen Teil von Rinas Emotionen – und sobald jemand anderes es trägt, beginnt eine neue Geschichte. Eine Geschichte, die jeder für sich persönlich interpretieren und weiterschreiben kann.
Ein Portrait von Marina Triebswetter I filterMagazin