1944 besuchte der 1898 geborene Ludwig Bemelmans aus den USA seine ehemalige Heimatstadt Regensburg. Er war in Amerika ein bekannter Autor geworden. Den Heimatbesuch verwertete er literarisch in einer bissigen Nazi-Satire und erfand für die lokalen Politgrößen treffend abwertende Bezeichnungen.
Eigentlich wurde Ludwig Bemelmans in Meran geboren, wo sein Vater - ein flämischer Maler - mit seiner Regensburger Frau Franziska, geb. Fischer, lebte. Doch der Vater verabschiedete sich 1904 mit dem französischen Kindermädchen Richtung USA. Die Mutter kehrte samt Söhnchen nach Regensburg zurück, wo sie bei ihren Eltern, die das Emslander Brauhaus bewirtschafteten, am Arnulfsplatz sechs wohnte.
Doch dort begann der Ärger erst richtig: Der kleine Ludwig rebellierte, wo es nur ging, flog aus sämtlichen Schulen und wurde von der verzweifelten Mutter zu einer Hotellehre nach Ritten bei Bozen geschickt, wo ein Onkel erfolgreich ein hochwertiges Hotel betrieb, das noch heute unter dem Namen „Bemelmans Posthotel“ existiert. Aber auch dort gab es Probleme mit dem rebellischen Teenager. Nach einem Streit soll er einen Hotelangestellten mit Tellern beworfen haben (andere Anwesende sprechen sogar von einer Bedrohung mit einer Waffe).
Ab nach New York
Aus der Hotelkarriere wurde verständlicherweise nichts. Die Mutter musste den Sohn schleunigst zurücknehmen, damit die Sache ohne Polizei geregelt werden konnte.
Was nun? Soll sich doch zur Abwechslung der Vater in den USA um den Sohn kümmern, meinte die Mutter und schickte den aufmüpfigen Sechzehnjährigen zum Papa nach New York. Das ehemalige Kindermädchen war ja praktischerweise auch noch dort.
Aber auch die Auswanderung verlief nicht ganz problemlos: Kurz vor der Einschiffung in Rotterdam kaufte sich der junge Passagier zwei Pistolen samt einer Menge Munition, um sich, wie er erklärte, „gegen die Indianer zu schützen und gegen sie zu kämpfen“. Offenbar war der junge Bemelmans durch Karl May ziemlich einseitig über Amerika informiert. Doch der Kapitän hatte überhaupt keine Lust auf einen schwer bewaffneten Mitreisenden und ließ ihn zunächst nicht einsteigen. Bemelmans musste sich von den Waffen trennen.
Vom Tellerwäscher zum erfolgreichen Autor
In New York änderte sich sein Leben schlagartig: Einige Jahre jobbte er in der Gastronomie und Hotellerie, auch in renommierten Häusern. Er wurde amerikanischer Staatsbürger, ging zur Army, wo er mit Autoritäten nun keine Schwierigkeiten mehr hatte. Nach dem Militärdienst wurde er sogar zum Mitbesitzer des Restaurants „The Hapsburg House“ (bis 1968 in Midtown East in Betrieb), das er designte und inhaltlich positionierte: „It was an exercise in transplanting Austrian cooking, zither music and the candlelit Mozart mood of old Vienna to New York.“ (Bemelmans, 1953). Mit Wien, Mozart oder Zithermusik hatte er zwar absolut nichts am Hut, aber er erkannte sehr gut, welche Sentimentalitäten bei ausgewanderten Deutschen und Österreichern in der Ethno-Gastroszene Geld einbrachten.

Karikatur von Bemelmans: „The Homesick Busboy“ arbeitet als Hilfskellner in einem Hotel in NY und hat großes Heimweh nach – Regensburg! © aus: Hotel Splendide, 1941 - Pushkin Press 2022, ISBN 13.978-1-78227-791-0
Als er von der Bewirtung anderer Leute genug hatte, begann er zu malen, zeichnete Karikaturen und schrieb Kinderbücher, nach einiger Zeit sogar mit Erfolg. 1939 gelang ihm mit „Madeline“ und mehreren Folgebänden (Name angelehnt an seine Frau Madeleine Freund) der große Durchbruch. Es wundert überhaupt nicht, dass die Protagonistin ein rebellisches Mädchen ist, das eine Klosterschule in Paris auf den Kopf stellt. Über acht Millionen Bücher wurden verkauft.
Besuch in Regensburg
1944 zog es Bemelmans wieder einmal zu einem Besuch nach Regensburg. Warum er die Reise gerade mitten im Krieg machen wollte und das noch als amerikanischer Staatsbürger, ist nicht wirklich klar. Vielleicht lag es daran, dass er einen Reisebericht über seine Heimat plante und den Amerikanern erklären wollte, wie diese „Germans“ so ticken. Romane und Reiseberichte entwickelten sich für Bemelmans zu einem weiteren Standbein (sehr erfolgreich: „Italien Holiday“, 1961).
„The Blue Danube“ erschien 1945 und ist eigentlich kein Reisebericht, sondern ein fiktiver Roman, der in Regensburg spielt und durch die detaillierte Schilderung der Örtlichkeiten und des Lokalkolorits sehr authentisch wirkt. Der Titel bezieht sich nicht auf den Walzer, ähnlichen Namens von Johann Strauss, sondern bezeichnet den fiktiven Biergarten „Zur blauen Donau“, in dem die Handlungsfäden zusammenlaufen – und der wohl in Stadtamhof zu lokalisieren ist.
Wer ist das Schwein?
Die Geschichte beginnt in diesem Biergarten, in dem sie alle zusammensitzen: Die Bürger, „die sich nicht an der Front oder im Konzentrationslager befanden, die genug Geld und Muße“ hatten, die geistlichen Herren und natürlich auch die lokalen Nazigrößen. Waren Letztere anwesend, war die Stimmung etwas gedämpft. Man musste darauf achten, was man sagte.
Da war zum Beispiel der „Gauleiter“ (die Rangbezeichnungen nahm Bemelmans nicht so genau, es war eher ein Ortsgruppenleiter gemeint), der von Bemelmans meist als „das Tier mit der menschlichen Stimme“ bezeichnet wurde, dem der zu kleine Schweinebraten nicht passte und der sich bei der Wirtin darüber lautstark beschwerte. Deren Einwand, dass eben Krieg sei und die Versorgung mangelhaft, ließ er nicht gelten. Plötzlich rief einer der Gäste: „Ein Schwein!“ – Das „Tier mit der menschlichen Stimme“ bezog die Bezeichnung nicht ganz zu Unrecht auf sich. Doch kurz bevor er explodierte, stellte sich heraus, dass auf der Donau ein Floß mit einem großen Schwein vorbeitrieb.

„Spitalgarten“ in Stadtamhof. Möglicherweise die Inspiration zu Bemelmans Biergarten in „The Blue Danube“ © Wolfgang Ludwig
Und dann gab es da noch die Insel in der Donau, auf der der alte Fischer, seine zwei alten Schwestern und die junge Nichte lebten und Rettich anbauten, den sie vor dem Dom gewinnbringend verkauften.Da die Insel durch ein Hochwasser entstand, war sie nirgends verzeichnet, für das Steueramt also nicht existent. Die Bewohner blieben daher von Abgaben verschont. Das Schwein gehörte übrigens den Inselbewohnern.
Eine Watsche
Das „Tier“ und der Steuerbeamte „Nebenzahl“ wollten diese Steuerfreiheit ändern, aber ohne Erfolg. Eines Tages kam es zwischen dem „Tier“ und dem alten Fischer im Biergarten zu einem Eklat, in dem der Alte dem „Tier“ gehörig seine Meinung sagte und ihm eine saftige Ohrfeige verpasste. In der Folge entschied sich der Alte vorsichtshalber für eine längere Abwesenheit aus Regensburg und tauchte für mehrere Wochen in Wien unter.
Als er zurückkam, spürte das „Tier“ den Alten auf der Insel auf und wollte ihn erschießen. Die Inselbewohner hatten inzwischen einen vom wohlgesinnten Bischof vermittelten französischen Kriegsgefangenen als Unterstützung bekommen. Im Handgemenge vor dem Schuss wurde das „Tier“ jedoch mit der eigenen Waffe tödlich getroffen. Einerseits gut, dass er weg war, andererseits aber doch irgendwie sehr unangenehm. Nun würde die Nazi-Bagage erst recht auf die Insel kommen und alle nach Dachau verfrachten. Doch genau da begann ein alliierter Bombenangriff auf die Stadt. Eine Bombe traf die Insel. Die Bewohner blieben unversehrt, aber das „Tier“ wurde zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Nun war der „Gauleiter“ eben ein Bombenopfer, niemand hatte ihn erschossen.
Doch nach einem darauffolgenden Besuch im Biergarten, in dem der alte Fischer wieder zu freizügig geredet hatte, wurde er vom neuen „Gauleiter“, genannt „Schuft“, verhaftet.
Sein Schicksal ließ Bemelmans offen.
„The Blue Danube“ erschien erst 2007 in deutscher Übersetzung, als Bemelmans (gestorben 1962 in New York) schon weitgehend vergessen und nur noch einem Fachpublikum bekannt war. 2008 wurde eine Bühnenfassung des Werks von Eva Demski in Regensburg aufgeführt.
Wolfgang Ludwig I filterMagazin