Reiseführer sind mehr als Wegweiser – sie spiegeln ihre Zeit. Johann Pezzls Werk von 1784 liefert nicht nur Eindrücke bayerischer Städte, sondern auch scharfe Kritik an Kirche und Gesellschaft. Besonders Regensburg schildert er auf ungewöhnlich direkte Weise.
Reiseführer, ob online oder gedruckt, sind für viele Menschen eine wichtige Hilfe auf Reisen. Gerade früher, als die wenigen Reisenden nur sehr geringe Vorstellungen vom Leben in anderen Ländern hatten, wurden sie sehr gerne gekauft. Johann Pezzl ging mit seinem Bayern-Führer aus dem Jahr 1784 in die Literaturgeschichte ein.
Reiseberichte gab es eigentlich schon immer. Der griechische Geograph Pausanias (2. Jh. v. Chr.) war sehr wohlhabend und ständig überall in der hellenistischen und römischen Welt unterwegs. Er hinterließ mehrere Bände mit genauen Reisebeschreibungen, die aber mangels Reproduktionsmöglichkeiten nur wenige lesen konnten.
Später waren es Kaufleute und Pilger, die ihre nicht immer sehr angenehmen Erfahrungen zu Papier brachten. Mit dem Buchdruck fanden derartige Reisebeschreibungen auch ein größeres Publikum.
Ab dem 18. Jahrhundert reisten junge englische Lords, die ausreichend Geld und Muße hatten, besonders gerne nach Italien, um ihre humanistische Bildung unter Beweis zu stellen. Junge Deutsche mit entsprechendem Background machten es ihnen bald nach.
Nach Goethes legendärer Italienreise – sie führte im September 1786 über Regensburg nach Italien und dauerte bis Mai 1788 – und der Publikation seiner stark geschönten Reisetagebücher ab 1813 entstand ein richtiger Reiseboom Richtung Süden mit entsprechend großer Zahl an Literatur.
Reiseboom nicht nur nach Italien
Doch nicht alle Publikationen wollten diese Entwicklung fördern. Es gab auch solche, die Abschreckung bezweckten: Der Berliner Gustav Nikolai etwa machte auf seiner Italienreise nur negative Erfahrungen und warnte mit seiner Schrift „Italien wie es wirklich ist“ (1834) seine Landsleute eindringlich vor einer Reise in den Süden, in dem vom Essen bis zu den Menschen alles schlechter sei als in der Heimat. Aber auch Deutschland wurde von der Reiseliteratur ausführlich behandelt. Für viele Reiselustige war eine Reisetätigkeit im deutschsprachigen Raum ökonomisch sinnvoller, sprachlich einfacher und weniger risikobeladen.
Dort gab es spezielle Literatur für Bahnreisende, Badegäste an der Ostsee, Bergsteiger im Süden, Handbücher von Baedeker mit den unbedingten „must see“-Tipps, Hinweise auf Hotels und Gastronomie .... und Reiseführer einer ganz anderen Art: Bücher, die nicht auf die Sehenswürdigkeiten oder praktische Tipps eingingen, sondern die Menschen, ihre Lebensweise und Besonderheiten beschrieben. Der 1756 in Mallersdorf (ca. 40 km südlich von Regensburg) geborene Johann Pezzl war ein eifriger Verfasser derartiger Beschreibungen. Auch Regensburg wurde von ihm intensiv behandelt.
Nur weg vom Kloster
Pezzls Eltern – der Vater war Klosterbäcker – steckten den Sohn erst in die Klosterschule von Freising, dann als Novize ins Benediktinerkloster Oberalteich (Stadt Bogen), wo er es aber nur ein Jahr aushielt. Dann hatte er von religiöser Erziehung endgültig die Nase voll. Mit finanziellen Zuwendungen von Gönnern ausgestattet, konnte er in Salzburg, weit weg von den Eltern und von Oberalteich, Rechtswissenschaften studieren. Dort kam er in Kontakt mit Aufklärungsliteratur und Freimaurern, was zu einer intensiven Abneigung gegen das weltabgewandte, erzkonservative Klosterleben und den Katholizismus führte und Pezzl zu einem radikalen Anhänger der Aufklärung machte.
Seine ersten schriftstellerischen Aktivitäten, die „Briefe aus dem Noviziat“, erschienen in Zürich und wurden wegen des religionskritischen Inhalts in Bayern sofort verboten.
Ab 1784 lebte Pezzl in Wien, das ihm unter Joseph II. mehr Freiheiten und vor allem sichere Arbeit bot. Auf häufigen Reisen kam er aber immer wieder nach Bayern.
1784 erschien die „Reise durch den Baierischen Kreis“, in dem die Lebensverhältnisse und die Menschen in verschiedenen Städten beschrieben werden.

Gerade ein jahr hielt es Pezzl im ehemaligen Kloster Oberalteich aus. © Stadt Bogen
Reise durch Bayern
Pezzl gibt keine Reisetipps im eigentlichen Sinn, er beschreibt vielmehr ausgewählte Städte, versucht die Menschen zu charakterisieren und polarisiert immer wieder gegen den Klerus und die katholische Kirche.
Als Reisehandbuch mit praktischen Tipps ist das Werk nicht zu gebrauchen.
Die Beschreibungen beginnen in Passau und setzen sich fast kreisförmig über Regensburg, Ingolstadt, Augsburg – mit einigen Abstechern nach München – fort und enden in Salzburg. Dazwischen werden auch andere Orte erwähnt.
Ob die Reise wirklich in dieser Form stattgefunden hat, oder aus mehreren Einzelreisen bestand, ist unklar, ebenso wie die Quellen, derer Pezzl sich bediente. Nicht alle Erkenntnisse erfährt man so auf die Schnelle im Vorbeikommen, da braucht es Kontaktpersonen und Informationen – wo diese herkommen, bleibt ebenso offen. Vermutlich hat er einiges auch von anderen Autoren übernommen.

Cover „Reise durch den Baierischen Kreis“. © ÖNB
Nicht alles druckreif
Passau: Die Stadt am Zusammenfluss zweier schiffbarer Flüsse sei „nicht so ganz unansehnlich“ und liege zwischen zwei Festungen: „An der Südseite die himmlische Zitadelle Maria-Hilf, an der Nordseite der Donau liegt die bischöfliche Festung Oberhaus“. Eine weltliche Festung kam Pezzl für einen Bischof genauso unpassend vor wie ein „bischöfliches H****haus“. Die üppige Lebensweise der Domherren wird heftig kritisiert: Sie würden nicht bloß predigen, sondern herrschen.
Trotzdem sind die Passauer „lebhaft und guten Humors“, besonders die jungen Passauerinnen hatten es Pezzl angetan. Sie sind nicht nur hübsch und reizvoll gekleidet, sondern auch „gute Mädchen zu Tisch und zu Bette“. Mit dieser Aussage käme Pezzl heute bei keinem Verlag durch.
Landshut empfindet Pezzl im Verhältnis zur Größe „etwas menschenleer“, die Menschen dort wären „nicht ganz so munter und gesprächig“, aber „eifrig katholisch“.
Finsteres Regensburg
Goethe, der Regensburg 1786 (also fast zur selben Zeit wie Pezzl) auf seinem Italien Trip kurz kennenlernte, äußerte sich positiv über die Stadt. Für Pezzl hingegen ist Regensburg, das Ende des 18. Jahrhunderts 15.000 Einwohner zählte, eine „finstere, melancholische und in sich selbst vertiefte Stadt“, der man den Status der Reichsstadt aufgrund der Kleidung, der Manieren und der Straßenpflasterung auf Schritt und Tritt anmerkt. Der Reichstag ist für die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt ein absoluter Glücksfall, er „nährt sie größtenteils in guten Jahren und schützt sie in misslichen Zeiten“. Das zeigte sich besonders im Winter des Jahres 1771, als aufgrund des Deutsch-Französischen Krieges die Nahrungsmittelversorgung sehr schlecht war, wegen der Anwesenheit des Reichstages gelangten aber trotzdem ausreichend Lebensmittel in die Stadt.
Manche Textstellen über Regensburg übernahm Pezzl ohne Hinweis aus anderen Reisebeschreibungen.
Auch an der katholischen Kirche in Regensburg lässt er kein gutes Haar (St. Emmeram teilweise ausgenommen), das damals für aufgeklärtes Gedankengut offene Fürstenhaus Thurn und Taxis wird hingegen in höchsten Tönen gelobt. Der Fürst kümmere sich um die Armen und fördere Musik und Theater. Natürlich darf die berühmte Steinerne Brücke in der Beschreibung der Stadt auch nicht fehlen. Er berichtet von einer Sage, dass die Brücke mit Hilfe des Teufels gebaut wurde. Als Belohnung sollte dieser die ersten zwei Seelen bekommen, die über die Brücke gehen. Die Bauarbeiter jagten nach Fertigstellung aber zwei Hähne über die neue Brücke... der Teufel war nicht erfreut.
Ausdrücklich weist Pezzl auf die wirtschaftliche Bedeutung der Donau für die Handelsbeziehungen der Stadt hin.
Auffällig für den Besucher war der offenkundige „Nationalhass“ der Bayern gegen die Oberpfälzer, die den Begriff „Pfälzler“ als Schimpfwort verwendeten.
Neue Heimat Wien
In Wien, wohin Pezzl mit 28 Jahren zog, begeisterten ihn die Reformen Kaiser Josef II. Er arbeitete als Bibliothekar, später sogar als Beamter in der Hof- und Staatskanzlei, wurde Freimaurer und konnte in derart gesicherten Verhältnissen auch heiraten. Über seine Gattin, Anna Maria Kurz, ist nichts weiter bekannt.
Auch in Wien setzte er seine schriftstellerische Tätigkeit fort. Ab 1786 erschien in mehreren Folgen eine „Skizze von Wien“, in der er die neue Heimat detailliert beschrieb. Außerdem veröffentlichte er Biografien, weitere geographische Beschreibungen und Sittenbilder und übersetzte aus dem Französischen und Englischen. Im Alter wandte er sich von seinen ursprünglichen aufklärerischen Ideen wieder ab.
Johann Pezzl starb 1823 in Wien. Auch heute noch werden gelegentlich Veranstaltungen und Kongresse zu seinem Werk veranstaltet, von der Universität Regensburg zuletzt 2023.
Wolfgang Ludwig I filterMagazin