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Weihnachten ist das Fest der Liebe und der Familie. Doch wie verbringen eigentlich Obdachlose Weihnachten? Und wie wirkt sich die Corona-Pandemie auf die Wohnungslosenhilfe auch hier in Regensburg aus? Wir haben uns mit Tobias Mehrbrey, Referent für Besondere Lebenslagen des Caritas Verbands der Diözese Regensburg, über genau diese Themen unterhalten.

Herr Mehrbrey, wie viele Wohnungslose und Obdachlose gibt es in Regensburg?

Die Zahl ist nur schätzbar, da es eine tatsächliche Registrierung nicht gibt. Lediglich eine Registrierung „ohne festen Wohnsitz“ ist bei den Anmeldeämtern möglich. Doch hier muss unterschieden werden, ob es sich um Wohnungslose oder Obdachlose handelt. In Regensburg gehen wir aktuell von etwa 100 Obdachlosen aus. 20 bis 30 Prozent davon sind Frauen.

Wie genau wird man obdachlos oder wohnungslos?

Und wo liegt der Unterschied?Als wohnungslos gilt, wer über keine eigene Wohnung mit Mietvertrag beziehungsweise über keine Meldeadresse verfügt. Eine Person, die bei Freunden oder Verwandten unterkommt und eine Bleibe hat, nennt man wohnungslos. Eine Person, die auf der Straße nächtigen muss oder auf eine Notunterkunft angewiesen ist, nennt man dagegen obdachlos.

Der Prozess in die Wohnungslosigkeit ist so individuell wie die Menschen selber. Oft läuft es darauf hinaus, dass die Menschen ihren Wohnraum durch finanzielle Engpässe oder durch zu hohe Haftdauer verlieren, aber auch Systemaussteiger können in diese Kategorie fallen. In anderen Fällen kommt es durch Trennung von Lebensgemeinschaften dazu oder wenn junge Erwachsene von ihren Eltern des Wohnraumes verwiesen werden.

Menschen in Haft verlieren spätestens nach einem Jahr ihren angemieteten Wohnraum, sollte er nicht durch Dritte aufrechterhalten werden. In Haft können Betroffene einen Antrag auf Mietübernahme durch das kommunale Amt für Soziales beantragen. Die gilt aber auch nur unter bestimmten Umständen für längstens ein Jahr.

Welche Ursachen liegen der Wohnungs- oder Obdachlosigkeit zugrunde? Gibt es hierfür klassische Muster?

Klassische Muster gibt es nicht, zumindest wenn man die Geschichte der Menschen in ihrer Gesamtheit betrachtet. Oft beginnt die prekäre Situation aber schon im Kindesalter. Man kann also nur gewisse Wendepunkte betrachten, um das Feld so weit einzuengen, dass man von „Klassikern“ sprechen kann. Einer betrifft EU-Bürger außerhalb des Fürsorgeabkommens der EU-Gründerstaaten, also hauptsächlich Menschen aus süd-ost-europäischen Ländern wie Bulgarien, Rumänien usw. Die alleinstehenden Menschen kommen oft wegen Arbeitssuche nach Deutschland, da in ihrer Heimat eine Zukunft optionslos erscheint. Meistens haben sie auch schon eine Anstellung in Aussicht. Verlieren sie aber diese Anstellung, greift das Netz des Sozialsystems erst nach über fünf Jahren Aufenthalt und vorausgesetzt ohne Verlust der Freizügigkeit. Wenn ein EU-Bürger also zwei Jahre arbeitet, dann kann er noch ein Jahr Arbeitslosengeld I beziehen, und danach gibt es keine Absicherung mehr für ihn. Ohne finanzielle Mittel wird die betroffene Person auch keinen Wohnraum mehr finanzieren können, und die Wohnungslosigkeit tritt ein. Um einen Anspruch auf Sozialleistungen gemäß dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II) zu erheben, müsste die Person mindestens 200 Euro im Monat verdienen. Gerade zu Pandemie-Zeiten ist dies noch schwerer als sonst. Die Thematik ist aber generell sehr komplex – und das gerade beschriebene Beispiel ist nur eine Möglichkeit von vielen.

Welche Rolle spielen psychische Erkrankungen bei Verlust des eigenen Wohnraums?

Bei psychisch kranken Menschen ist es oft die Hilflosigkeit in unserem System. Depressive zum Beispiel tun sich oft schwer, Post zu öffnen oder wichtige Termine einzuhalten. Dadurch werden Fristen versäumt, Schulden häufen sich an, Hilfen werden nicht in Anspruch genommen und vieles mehr. Dann folgt der Verlust des Wohnraumes, und die Wohnungslosigkeit tritt ein. Je nach Schwere der Krankheit kann zwar eine Betreuung bestellt werden oder in sehr extremen Fällen eine Einweisung in die Psychiatrie erfolgen, aber zweiteres nur bei akuter Selbst- oder Fremdgefährdung.

Generell kann man Folgendes sagen: Obdach- und wohnungslos werden oft Menschen, die auf der einen Seite zu stark für eine intensive Betreuung sind, aber auf der anderen Seite mit unserem System und den sehr komplexen Regularien nicht fertig werden. In Zusammenhang mit einem fehlenden sozialen Umfeld wie Freunde und Familie sind diese Leute auf sich allein gestellt und schaffen es nicht, in unserer Gesellschaft auf die Beine zu kommen.

Obdachlose sind zwar ohne Wohnung, aber sind sie auch ohne Familie, Freunde und Verwandte? Werden sie nicht vermisst?

Das ist eine Pauschalisierung, die so auf viele, aber nicht auf alle Fälle zutrifft. Es ist durchaus nicht selten, dass eben Freunde auch obdachlos sind oder gar mehrere Familienmitglieder. Dort herrscht dann auch reger Kontakt. Aber ein fehlendes soziales Umfeld, das eine Person auch auffangen kann, bedeutet in diesen Fällen auch, dass sie keiner vermisst. Bei Haftgefangenen oder Suchtkranken wendet sich nicht selten das eigene soziale Netzwerk ab. Kinder werden verstoßen, Lebensgemeinschaften lösen sich auf und Freundeskreise distanzieren sich.

Deutschland ist ein Sozialstaat, das wird immer wieder auch von der Politik betont. Deswegen: Muss man in Deutschland überhaupt wohnungs- oder obdachlos werden?  Wie kann es sein, dass Betroffene durch das Sozialnetz fallen? Hat es etwas mit „Aussteigertum“ zu tun?

Natürlich gibt es Aussteiger, aber die sind im Gesamten eher vernachlässigbar. Zudem werden diese auch eher selten professionelle Hilfe aufsuchen und annehmen, weil diese eben im System angegliedert ist.

Und Deutschland kann nur solange ein Sozialstaat sein, solange die bürokratischen Wege eingehalten werden beziehungsweise die Betroffenen sie auch bewältigen können. Aber selbst, wenn eine Person eine Grundversorgung bekommt, bedeutet das noch lange nicht, dass für die Person eine Wohnung zur Verfügung steht. Gerade alleinstehende Männer stehen in der Warteschlange für bezahlbaren Wohnraum ganz hinten. Nach dem SGB II gibt es eine Obergrenze der Mietkosten, und diese ist in aller Regel nur im geförderten Wohnbau zu finden. Auf dem freien Markt sind die Wohnräume meist zu teuer und viele Vermieter vergeben keine Wohnung an Obdachlose aufgrund der starken Stigmatisierung.

Es gibt auch eine gesetzlich geregelte Unterbringungspflicht, doch diese ist mit einer Notunterkunft für Obdachlose erfüllt. Dabei handelt es sich in den meisten Städten um Gebäude mit Schlafsälen. 

An wen können sich in Bedrängnis oder in Not geratene Menschen wenden? Welche Voraussetzungen müssen hierfür erfüllt sein?

Bei uns in der Caritas ist die Not die Voraussetzung oder auch anstehende Not. Das kann von finanziellen Schieflagen bis hin zur Suchtproblematik und Obdachlosigkeit reichen.

In der Obdachlosenhilfe nehmen wir die Menschen an, wie sie sind. Mit all ihren eigenen Vorstellungen und manchmal auch nicht gesellschaftskonformen Verhaltensweisen. Wir akzeptieren und gehen auf die Bedürfnisse und Wünsche der Menschen ein. Manche haben sich mit ihrer Situation abgefunden und wollen einfach eine Beihilfe zum Lebensunterhalt wie Lebensmittel oder Kleidung. Andere sind angetrieben und wollen ihre Situation ändern. Je nach Motivation und Zielen arbeiten wir mit den Menschen. Das Spektrum reicht von einer Packung Kaffee bis hin zur Vermittlung in eine therapeutische Einrichtung.

Wo fängt die Unterstützung für Betroffene an? Worin liegt die Hauptarbeit der Hilfeleistenden?

Wir helfen dort, wo es Fragen gibt. Je nach Situation und Fragestellung haben wir in der Caritas unterschiedliche Expertinnen und Experten. Dies kann von einem Haushaltsplan bis hin zur Suchttherapie und Wohnungssuche stattfinden. Die Hauptarbeit wird dabei durch Leitsätze geprägt. Bei mir ist es im Besonderen das Credo: „Das Leben ein stückweit lebenswerter machen.“ Das reicht von Ausfüllhilfen bei SGB II Anträgen bis hin zur Organisation von Weihnachtsaktionen oder der Ausgabe von gespendeten Schlafsäcken.

Müssen Obdach- oder Wohnungslose auf der Straße schlafen? Wo kommen betroffene Personen in der Regel unter?

Für Kommunen gilt eine gesetzliche Unterbringungspflicht. Menschen können demnach in Unterkünften mit Schlafsälen, teilweise auch mit Tagesaufenthalten, unterkommen. In kleineren Gemeinden werden Häuser oder Wohnungen zur Verfügung gestellt. Diese sind nach meiner Erfahrung aber oft in unzumutbaren Zuständen.

Wieso schlafen dennoch Personen auf der Straße, in Parks oder an anderen öffentlichen Orten unter freiem Himmel? Welche gefühlten Gefahren lauern in den Obdachlosenunterkünften, sodass sie von einigen Betroffenen gemieden werden?

Wo Menschen sind, gibt es auch Konflikte. Manche fühlen sich von Suchtproblematiken gestört, andere wollen ihrer Sucht nachgehen. Ganz andere fühlen sich von Ethnien gestört oder finden die Umstände in Schlafsälen nicht zumutbar. Ganz andere haben wegen Fehlverhalten Hausverbot. Manche lieben vielleicht einfach ihre Freiheit und genießen die Unabhängigkeit. Auch hier gibt es wahrscheinlich so viele Gründe, wie es individuelle Menschen gibt.

Mit welchen Problemen haben die Betroffenen noch zu kämpfen? Welche weiteren negativen sozialen oder gesundheitlichen Begleiterscheinungen zieht Obdachlosigkeit nach sich?

Leide ich beispielsweise unter Kopfschmerzen, kann ich mich mit entsprechenden Medikamenten versorgen. Die finanzielle Reichweite haben Obdachlose oft nicht, um alle Arzneimittel zu besorgen, die sie bräuchten. Einige sind auch nicht krankenversichert, zum Beispiel EU-Bürger, die keine Ansprüche auf SGB II Leistungen haben. Also können viele keine ärztliche Behandlung wahrnehmen, außer es wird lebensgefährlich. Der schmerzende Zahn wird also nicht umgehend behandelt, sondern erst dann, wenn er gezogen werden muss, damit es nicht lebensgefährlich wird. Oben drauf kommt oft ein ungesunder Lebensstil. Die Ernährung ist nicht ausgewogen und in extremen Fällen bringen Suchtmittel schwerwiegende Folgeschäden mit sich. Sie sind auch oft der Witterung gnadenlos ausgesetzt und können demnach auch unter zu geringer Flüssigkeitsaufnahme leiden.

Wie kommen insbesondere Obdachlose an ihre Post, an ihre Sozialleistungen oder an medizinische Leistungen?

Die Cariats, wie auch vereinzelte andere Einrichtungen, bietet eine Postadresse an. Ohne Postadresse können Obdachlose weder ein Konto eröffnen noch halbwegs machbar Leistungen beantragen. Auch um sich bei der Krankenkasse versichern zu lassen, brauchen sie eine Postadresse. Wenn obdachlose Senioren keine Postadresse nachweisen können, wird auch die Rentenleistung eingestellt. Sobald Menschen wenigstens SGB II Leistungen erhalten, sind sie auch krankenversichert. Dies gilt aber, wie bereits erwähnt, nicht für alle. Manche haben auch nur Leistungen in Notfällen, da sie bei Krankenkassen hoch verschuldet sind.

Die sinkenden Temperaturen erhöhen den Druck auf Betroffene, sich mit warmer Nahrung zu versorgen und wenigstens die Nächte in einer Unterkunft zu verbringen. Welche „klassischen“ Einrichtungen gibt es hier?

In Regensburg ist die Unterkunft für Obdachlose (UfO) der Stadt Regensburg der wichtigste Ort, um zu nächtigen. Von Montag bis Freitag können sie auch in der Fürstlichen Notstandsküche über einen kostenlosen Schein der Caritas mittags eine hochwertige, warme Mahlzeit erhalten. Für die Adventszeit gibt es eine Kooperation verschiedener Verbände und privater Zusammenschlüsse. Wir nennen dies den sozialen Adventskranz und starten zum ersten Mal damit. Dabei wird an jedem Adventssonntag an einer anderen Ausgabestelle warmes Essen verteilt. Die Caritas eröffnet den sozialen Adventskranz am 29. November mit einer Essensausgabe in der Fürstlichen Notstandsküche.

Wie wirkt sich die Corona-Krise auf die Möglichkeit der Versorgung und der Unterbringung von Obdachlosen aus?

Wir versuchen, die Versorgung aufrechtzuerhalten, und das auch sehr erfolgreich. So gab es Essenspakete, Einkaufsgutscheine und Essen auf Rädern im Frühjahr und Sommer. Im Herbst sind wir verstärkt auf die Essensausgabe in der Notstandsküche umgestiegen, um regelmäßig ausgewogene Mahlzeiten anzubieten. Weiter gibt es bereitwillige Spender, die uns immer wieder unterstützen, damit wir Lebensmittelpakete verteilen können. Die Krise hat uns vor neue Aufgaben gestellt, da gerade die Obdachlosen verstärkt darunter leiden. Wir wurden gefordert und haben kreativ reagiert, um die Probleme anzugehen.

Wie hat Corona die Wohnungslosenhilfe im Allgemeinen verändert? Welche zusätzlichen Probleme gilt es zu lösen und wie wurden diese Probleme in Regensburg gelöst?

Eines der größten Probleme ist die Einschränkung in der Kontaktaufnahme. Wir können in der Obdachlosenhilfe nicht auf Online- und Telefonberatung zurückgreifen wie andere Stellen. Wir müssen mit den Menschen „face-to-face“ arbeiten, da sonst die Vertrauensarbeit schwer leidet. So haben wir zum Beispiel im Sommer im Hof der Zentrale in der Von-der-Tann-Straße durch das Fenster beraten und geholfen. Wir bauen mittels Stiftungsmittel und Spenden einen Beratungsbus auf, um auch die Menschen zu erreichen, die nicht in die Zentrale der Caritas kommen können. Ebenso ist ein Umzug geplant, in dem die Obdachlosenhilfe und der Streetwork der Suchtberatung Caritas enger zusammenwachsen und Synergien nutzen können, da hier eine große Schnittmenge unserer Klientinnen und Klienten besteht. Allein wegen der Krise und der Beratungssituation bin ich zweimal in andere Büros umgezogen, damit ich die persönliche Beratung aufrechterhalten konnte. Der dritte Umzug steht wie oben beschrieben an, um unter anderem auch mehr Raum zu erhalten. Wir haben auch verstanden, dass wir dezentralisieren müssen, um Klientel und Kolleginnen und Kollegen zu schützen.

Hat die Corona-Pandemie auch etwas Gutes für die Wohnungslosenhilfe hervorgebracht?

Es gab mehr finanzielle Mittel für neue und kreative Ideen für die Bewältigung der Problemlagen. Dabei haben wir insbesondere auf nachhaltige Lösungen gesetzt. Also auch nach der Pandemie wird die Caritas noch stärker in der Obdachlosenhilfe aufgestellt sein.

Wie verbringen Obdachlose Weihnachten?

Die Antwort würde „einsam“ lauten. Wir versuchen dem aber entgegenzuwirken. Nicht nur durch den sozialen Adventskranz versuchen wir, den Bedürftigen zu helfen, sondern auch durch die gemeinsame Aktion „Straßenwunsch“, die die Caritas zusammen mit der Initiative „Gastfreundschaft hilft Regensburg“ auf die Beine stellt. So können Obdachlose zum ersten Mal in Regensburg Wünsche in einem Wert bis zu 50 Euro auf einem Zettel äußern. Wir sammeln diese Wunschzettel dann ein und veröffentlichen sie auf einer Webseite. Wer helfen möchte, kann sich melden und einen solchen Wunsch erfüllen. Man kann auch spenden. Schließlich sollen die Wünsche wie an Weihnachten erfüllt werden. Wir verteilen die Geschenke dann über den Streetwork und unsere Fachberatungsstelle BLL. Abschließend wird es trotz aller Umstände einen Gottesdienst an Heilig Abend geben und zusätzlich werden Weihnachtspäckchen nach der Messe verteilt. Somit hoffen wir, dass Weihnachten trotz aller Umstände nicht so einsam wird und das Leben in der Weihnachtszeit ein stückweit lebenswerter ist – und im besten Fall auch für die Obdachlosen besinnlich.

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