Seit elf Jahren lebt Sascha ohne Zuhause – unterwegs mit Rucksack, Schlafsack und Hoffnung. In Regensburg findet er bei der Caritas Halt und wagt den Neuanfang. Zum Welttag der Obdachlosen zeigt seine Geschichte, wie schwer, aber möglich der Weg zurück in ein selbstbestimmtes Leben ist.
Immer, wenn Sascha irgendwo angekommen ist, wird es laut in seinem Kopf. „Meine Gedanken schreien, dass ich wegmuss“, sagt der 28-Jährige. In Gesellschaft, unter Menschen, fühlt er sich beengt und bedrängt. Nie hat er es lange an einem Ort ausgehalten. „Aber diesmal will ich es schaffen.“
Sascha sitzt in einem Büro der Caritas Notunterkunft für Obdachlose. 78 Männer ohne festen Wohnsitz haben hier Bett, Dusche, Waschmaschine, tägliches Essen und sozialpädagogische Begleitung. Fünf Monate hat Sascha dort gelebt, von Januar bis Mai dieses Jahres. Mittlerweile kommt er nur noch tagsüber, er schläft lieber draußen. Die Unterkunft mit dem Namen NOAH-deinTagNachtHalt ist dennoch sein Anker und sein Rückzugsort. Von hier aus, sagt er, wird es ihm vielleicht endlich gelingen, sich ein eigenes Leben aufzubauen.
„Wohnungslosigkeit ist eines der drängendsten Probleme unserer Zeit“
Sascha ist seit elf Jahren obdachlos und damit einer von mehr als einer halben Million Menschen ohne festen Wohnsitz in Deutschland, rund 430.000 davon sind untergebracht (Quelle: statistisches Bundesamt). Der Welttag der Obdachlosen am 10. Oktober 2025 möchte auf diese Menschen und ihre komplexen Problemlagen aufmerksam machen. In Regensburg leben 270 Obdachlose in Unterkünften, ein erheblicher Teil davon in Einrichtungen der Caritas (siehe Infotext). „Wohnungslosigkeit ist eines der drängendsten gesellschaftlichen Probleme unserer Zeit. Wir unternehmen große Anstrengungen da entgegenzuwirken“, sagt Brigitte Weißmann, die verantwortliche Referatsleiterin für dieses Aufgabengebiet bei der Caritas.
Es geht um mehr als eine Unterkunft
„Jeder Mensch hat Anspruch auf ein gutes Leben“, sagt Barbora Pokorny, Leiterin der Unterkunft. In ihrer Arbeit gehe es daher um deutlich mehr als um die Grundversorgung mit Lebensmitteln. „Wir bringen jedem hier Respekt entgegen“, sagt die Pädagogin. Ihre Klienten werden beraten, begleitet und in eine Tagesstruktur eingebunden. Sie entwickeln so wieder Selbstwert und finden im Idealfall Kraft, neue Wege zu gehen. „Wir sagen ihnen: Du bist nicht allein.“
Vor vier Jahren hat die Caritas die Notunterkunft in der Landshuter Straße in Trägerschaft genommen. 32 Mitarbeitende hat das Team, darunter auch Ehrenamtliche und Praktikanten, 1.351 Klienten wurden seither aufgenommen, 16.015 Beratungsgespräche geführt, 1.453 Mittagessen ausgegeben und 23.360 Waschmaschinengänge angeschmissen.
Sascha ist am Abend seines siebzehnten Geburtstags von seinem Zuhause in Nordrhein-Westfalen weggegangen. Es gab Streit in seinem Elternhaus, immer schon, auch häusliche Gewalt habe er erlebt, erzählt Sascha. Als er ging, schulterte er seinen 40-Kilo-Rucksack, darin Schlafsack, Zelt, Laptop, Personalausweis und sein Schulabschlusszeugnis. Aufbrechen, abhauen, loslaufen – das ist für ihn Freiheit. „Dann hören die Gedanken endlich auf“, sagt er.
„An Lebensmittel zu kommen, war nie ein Problem“
Immer wieder zog er los, in elf Jahren lernte er drei Berufe in drei Städten – Koch, Metzger, Bäcker. Er machte die Grundausbildung beim Bund. Er schlief draußen, in Wäldern oder auf Campingplätzen. Er lernte, sich aus Mülleimern zu ernähren, fand Pausenbrote, die Kinder noch vor Schulbeginn weggeworfen hatten, Pizzen, die er aus halbvollen Kartons kratzte, oder Döner, die noch warm waren, als er sie aus dem Müll fischte. „Die Leute schmeißen so viel weg“, sagt Sascha. „An Lebensmittel zu kommen, war nie ein Problem.“
Doch das Leben draußen hinterließ Spuren. Er nahm Drogen, nachts war er nicht sicher. Noch heute hat er Narben von Schlägen, die er einstecken musste, wenn ihn jemand von seinem Schlafplatz verscheuchen oder ausrauben wollte. Die Angst vor solchen Überfällen habe er mittlerweile aber bewältigt. „Wovor soll ich mich fürchten?“, fragt er. „Was habe ich schon zu verlieren?“
700 Kilometer in drei Monaten zu Fuß durch Deutschland
Im November 2024 beschloss Sascha, nach Regensburg zu gehen. Er lebte damals in Emden, hatte gerade seine Kochausbildung abgeschlossen. Es drängte ihn, wieder aufzubrechen. Eine Oberpfälzerin, die er vom Onlinegaming kannte, empfahl ihm Regensburg. „Wenn du eh‘ nicht weißt, wo du hingehörst, genügt ein kleiner Anstoß“, sagt er.
Sascha schulterte seinen Rucksack und lief in drei Monaten 700 Kilometer quer durch Deutschland, den Rhein entlang, von Burgruine zu Burgruine, in den immer selben Turnschuhen. Am 28. Januar 2025 erreichte er Regensburg und kehrte in der Kneipe Piratenhöhle ein. Dort erzählte ihm jemand von der Notunterkunft der Caritas. Am nächsten Tag zog er ein.
In Regensburg will Sascha bleiben
Fünf Monate hat er dort geschlafen, gegessen, gelebt. In der Notunterkunft fand Sascha Anschluss. Sozialarbeiter sprachen regelmäßig mit ihm, freitags spielte er Fußball, mittwochs machte er beim Kulturprogramm mit und besuchte beispielsweise Museen, beim Sommerfest im Juli grillte er die Würstchen. „Ich habe keine wirkliche Heimat“, sagt Sascha. „Für mich ist es normal, nirgends lange zu bleiben.“ Doch in Regensburg änderte sich das.
Nach elf Jahren auf der Straße wagt er mithilfe der Caritas den Neuanfang. Seit Donnerstag, den 02. Oktober, hat er einen neuen Job, sozialversicherungspflichtig. „Wenn ich drei Monate schaffe, suche ich eine Wohnung oder ein WG-Zimmer“, sagt er. In Regensburg, wo er endlich ankommen will.
Caritasverband für die Diözese Regensburg e.V. / RNRed