In der kalten Jahreszeit fühlen sich viele abgeschlagen und antriebslos. Doch ab wann handelt es sich um eine (saisonale) Depression? Wie erkannt man, ob man selbst oder andere betroffen sind? Und wie effizient sind Maßnahmen wie Lichttherapie, Bewegung und Ernährung wirklich? Prof. Berthold Langguth, Facharzt für Psychiatrie & Psychotherapie, gibt praxisnahe Antworten.
Wenn die Tage kürzer werden und die Sonne sich seltener zeigt, hat das für viele auch Auswirkungen auf ihren Gemütszustand. Doch während die einen lediglich unter einer getrübten Stimmung leiden, entwickelt sich bei anderen eine ernsthafte depressive Erkrankung. Prof. Berthold Langguth hat mit uns über die Erkrankung gesprochen. Er ist Facharzt für Psychiatrie & Psychotherapie sowie Neurologie und stellvertretender Ärztlicher Direktor sowie Chefarzt in der Klinik für Psychiatrie am medbo Bezirksklinikum Regensburg.
Saisonale Depression erkennen und verstehen
Ist eine Winterdepression das Gleiche wie eine saisonal abhängige Depression (Seasonal Affective Disorder)? Und wie unterscheidet sie sich von einer normalen Depression?
Die Winterdepression ist die umgangssprachliche Bezeichnung für die saisonal abhängige Depression (SAD), die im Winter auftritt. Das Krankheitsbild unterscheidet sich von anderen Formen der Depression vor allem durch ihren saisonalen Verlauf und das Auftreten typischer Symptome wie gesteigertem Appetit und vermehrtem Schlafbedürfnis.
Welche Symptome deuten darauf hin, dass es sich nicht nur um eine getrübte Stimmung handelt, sondern um eine saisonal bedingte Depression?
Während jemand mit getrübter Stimmung in der Regel in der Lage ist, mithilfe von Willenskraft die Beeinträchtigungen so zu kompensieren, dass der Alltag bewältigt werden kann, ist dies Patienten mit einer Depression in der Regel nicht mehr möglich. Bei der Depression treten zusätzlich auch ein Interessen- oder Freudverlust, auch bei früher angenehmen Dingen, Leere sowie Antriebslosigkeit beziehungsweise schnelle Erschöpfbarkeit auf und die Symptome halten über einen Zeitraum von mindestens zwei Wochen an. Es kann auch zu Appetitverlust, Schlafstörungen sowie einem Gefühl von Hoffnungslosigkeit oder Sinnlosigkeit kommen, viele haben „keine Lust auf irgendwas“.
Wie können Außenstehende erkennen, ob bei einem Menschen im Umfeld eine Depression vorliegt?
Außenstehende können Depressionen durch deutliche Veränderungen im Verhalten und in der Stimmung erkennen. Ganz typisch sind Traurigkeit, Rückzug von Freunden, Familie oder Hobbys, geringere Leistungsfähigkeit in Schule, Studium oder Beruf, Vernachlässigung von Alltagspflichten oder Körperpflege, Gereiztheit oder ungewöhnliche Ungeduld.
Oft, aber nicht immer, erkennen Angehörige oder Freunde die Depression eher als die betroffene Person selbst.

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Ursachen und Einflussfaktoren
Warum reagieren manche Menschen stärker auf die dunkle Jahreszeit als andere?
Es gibt sowohl physiologische als auch psychologische Gründe dafür. Der Mangel an Sonnenlicht im Winter führt zu Veränderungen im Serotonin, Melatonin und Vitamin D Stoffwechsel, was alles Einfluss auf die Entwicklung eines depressiven Syndroms haben kann. Psychologische Gründe ergeben sich daraus, dass sich Menschen im Winter weniger im Freien befinden, weniger Kontakt zu anderen Menschen haben und sich auch weniger bewegen.
Die unterschiedliche Empfindlichkeit auf die dunkle Jahreszeit ergibt sich in erster Linie aus der Veranlagung, aber auch durch den unterschiedlichen Einfluss des Winters auf das Leben und den Alltag einer Person.
Inwiefern beeinflussen künstliches Licht und Bildschirm-Arbeit unser emotionales Gleichgewicht im Winter?
Künstliches Licht und Bildschirmarbeit verstärken im Winter die emotionale Instabilität, da sie den natürlichen Hell-Dunkel-Rhythmus beeinflussen. Das künstliche Licht tagsüber ist wesentlich schwächer als das Sonnenlicht, was insbesondere die Serotonin- und Cortisolfreisetzung vermindert. Das typische Bildschirmlicht am Abend hat verstärkte Anteile von blauem Licht, was wiederum die Melatoninfreisetzung hemmt.
Man kann aber aktiv gegensteuern durch den Einsatz spezieller Tageslichtlampen, die besonders hell sind und dem natürlichen Licht sehr nahe kommen. Diese Tageslichtlampen sollten insbesondere in den Morgenstunden eingesetzt werden. Das Bildschirmlicht am Abend kann man ebenfalls anpassen, indem man die Blauanteile reduziert.
Lichttherapie, Sport, Apps: Welche Maßnahmen helfen wirklich?
Welche therapeutischen Ansätze gibt es für saisonale Depressionen?
Neben den allgemeinen antidepressiven Therapieansätzen (Psychotherapie, medikamentöse Therapie, Bewegung) kommt bei der saisonalen Depression der Lichttherapie eine besondere Bedeutung zu. Dies kann durch den Einsatz von hellen Tageslichtlampen, speziellen Lichttherapielampen, erfolgen. Jedoch ist das natürliche Licht – selbst an nebligen Wintertagen – die wirkungsvollere Alternative, insbesondere, wenn man sich im Freien bewegt (z. B. einen Spaziergang macht). Auch Gehirnstimulationsverfahren wie zum Beispiel die transkranielle Magnetstimulation können zum Einsatz kommen.
Welche Rolle spielt Bewegung bei der Behandlung einer Depression? Wie wirkt körperliche Aktivität auf das Gehirn, die Hormonregulation und andere biologische Prozesse?
Regelmäßige körperliche Aktivität kann depressive Symptome deutlich reduzieren, vor allem bei leichten bis moderaten Depressionen. Bewegung wird daher in allen Leitlinien empfohlen. Sie steigert die Ausschüttung von Serotonin, Dopamin und Endorphinen, die direkt die Stimmung heben. Zudem erhöht sie die Anpassungsfähigkeit des Nervensystems durch die Freisetzung von BDNF (Brain-Derived Neurotrophic Factor, Wachstumsfaktor für Nervenzellen), reguliert das Stresshormon Cortisol, senkt Entzündungsprozesse im Körper und verbessert die Durchblutung sowie Struktur von Hirnregionen, die einen Einfluss auf die Depression haben (z. B. Hippocampus.)
Körperliche Aktivität hat auch wesentliche Effekte auf psychische Prozesse, sie stärkt das Gefühl von Selbstwirksamkeit, reduziert Grübeln, schafft Struktur und Routine, fördert sozialen Kontakt und vermittelt Erlebnisse von Kompetenz und Kontrolle – alles Faktoren, die das seelische Gleichgewicht stabilisieren und depressive Symptome mindern.
Was halten Sie von bestimmten Technologien wie Wearables oder Apps?
Wearables können sinnvoll sein zur Selbstbeobachtung, zum Beispiel Schrittzähler, die zu ausreichender Bewegung motivieren. Es existieren vielfältige Apps, für die ein Nutzen in der Depressionsbehandlung nachgewiesen ist. Manche können als digitale Gesundheitsanwendung (DIGA) ärztlich verordnet werden und die Kosten werden von den gesetzlichen und den meisten privaten Krankenkassen übernommen. Es gibt aber auch gut evaluierte frei verfügbare Apps, wie zum Beispiel die digitalen Angebote „moodgym“ oder „cogito“. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass auch viele Apps angeboten werden, deren Nutzen nicht wissenschaftlich geprüft wurde.

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Die Bedeutung von Ernährung
Welche Rolle spielt die Ernährung für die psychische Gesundheit?
Ernährung kann sowohl Risiken erhöhen als auch Schutz bieten. Die Ernährung wirkt auf biologische und psychologische Mechanismen, die die Depression beeinflussen. Eine ausgewogene Ernährung liefert Nährstoffe, die für Gehirnfunktionen, Neurotransmitterproduktion (z. B. Serotonin, Dopamin) und Entzündungsregulation wichtig sind. Mangelhafte Ernährung oder übermäßiger Konsum stark verarbeiteter, zucker- und fettreicher Lebensmittel kann Entzündungen, oxidativen Stress sowie Hor-monungleichgewichte fördern und so depressive Symptome verschlimmern oder das Erkrankungsrisiko erhöhen.
Können Sie bitte erläutern, wie die Zufuhr bestimmter Nahrungsmittel sich konkret auf das Gehirn auswirken kann? Sind spezielle Ernährungstherapien sinnvoll?
Bestimmte Nahrungsmittel wie Omega-3-Fettsäuren, Vollkorn, Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte oder Nüsse unterstützen Neurotransmitter, Entzündungshemmung und Gehirnfunktion. Fermentierte Lebensmittel und Ballaststoffe fördern ein gesundes Darmmikrobiom, das mit emotionaler Stabilität verknüpft ist.
Man sollte auch nicht vergessen, dass regelmäßige Mahlzeiten Blutzucker und Energielevel stabilisieren und so Stimmungsschwankungen reduzieren.
Es gibt jedoch keine spezielle „Anti-Depressions-Diät“. Insgesamt ist eine ausgewogene Ernährung mit einem ausreichenden Anteil von Obst und Gemüse zu empfehlen.
Gibt es aktuelle Erkenntnisse dazu, welchen Einfluss das Darmmikrobiom auf die psychische Resilienz hat?
Zusammenhänge zwischen Darmmikrobiom, Stressresistenz und Depression werden derzeit intensiv untersucht. Die bisherigen Ergebnisse deuten auf einen komplexen Zusammenhang hin: Das Darmmikrobiom hat einen Einfluss auf Stressresilienz und Depression, umgekehrt haben Stresserleben und Depression einen Einfluss auf das Darmmikrobiom.

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Neue Forschung und Perspektiven
Welche aktuellen oder besonders interessanten Forschungsergebnisse gibt es zu den Themen Depression und Winterdepression?
Aktuelle Studien legen nahe, dass die Analyse des emotionalen Gesichtsausdruckes und der Sprachmelodie mithilfe von KI zur Früherkennung von depressiver Symptomatik beitragen können.
In nordischen Ländern wird der Winter häufig als Zeit der Geborgenheit zelebriert. Hygge beschreibt etwa das dänische Lebensgefühl von Behaglichkeit und Wärme. Was halten Sie von diesem Konzept, und können wir uns davon etwas abschauen?
Selbstverständlich ist dies ein sehr sinnvoller Ansatz. Nicht nur in Dänemark, sondern auch bei uns gibt es die Tradition, dem Winter Gemütlichkeit, Wärme und Behaglichkeit abzugewinnen, insbesondere um die Weihnachtszeit, wenn die Tage am kürzesten sind. Ganz allgemein gilt, dass es zum seelische Wohlbefinden viel beiträgt, wenn man unveränderliche Situationen (in diesem Fall den Winter) akzeptiert, auch wenn sie mit manchen Unannehmlichkeiten und Beschwerlichkeiten verbunden sind, und dann versucht, das Beste draus zu machen.
Eine Übersicht über die verfügbaren Unterstützungs- und Selbsthilfeangebote findet sich bei KISS: www.kiss-regensburg.de.
Ein Interview von Marina Triebswetter I filter Magazin