Immer mehr Menschen leiden an Schlafproblemen. Sind die ständige Mediennutzung und Stress wirklich die Ursache dafür? Was passiert im Körper, wenn man zu wenig schläft und welche langfristigen Folgen drohen? Schlafexperte Prof. Dr. Michael Arzt klärt auf und zeigt, wie guter Schlaf gelingt.
Schlaf beeinflusst Körper, Psyche und Leistungsfähigkeit. Wir haben mit Prof. Dr. Michael Arzt über die Bedeutung von gesundem Schlaf gesprochen und dabei unterschiedliche Aspekte beleuchtet – von der Einnahme von Melatonin über die Rolle des des zirkadianen Rhythmus bis hin zu effektiven Tipps, um seinen Schlaf langfristig zu verbessern.
Schlaf beeinflusst jede unserer Körperzellen
Das Thema Schlaf ist allgegenwärtig – und doch verstehen viele nicht, wie zentral er für unsere Gesundheit ist. „Schlaf beeinflusst so ziemlich alle Funktionen in unserem Körper. Man kann sogar sagen: Der Schlaf hat Einfluss auf wichtige Abläufe in jeder Körperzelle.“, beschreibt Prof. Arzt.

Dr. Michael Arzt ist Professor für Innere Medizin, Schlaf- und Beatmungsmedizin an der Universität Regensburg. Als Facharzt für Innere Medizin und Schlafmedizin leitet er das Schlafmedizinische Zentrum der Klinik für Innere Medizin II am Universitätsklinikum Regensburg. Seine klinische und akademische Ausbildung absolvierte Dr. Michael Arzt an der Universität Regensburg und der Universität Toronto. Seine Schwerpunkte als klinischer Wissenschaftler sind die Epidemiologie, Pathophysiologie und Behandlung von Schlafstörungen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Bis heute hat er mehr als 200 Arbeiten und Buchkapitel zum Thema Schlaf und Schlafapnoe veröffentlicht, die mehr als 10.000 mal zitiert wurden. © UKR
Auch für die psychische Gesundheit spiele er eine entscheidende Rolle: So könne Schlaf dabei helfen, die Informationsflut des Tages zu verarbeiten sowie Wichtiges von Unwichtigem zu trennen. Der Schlafexperte vergleicht das mit dem Deinstallieren von Programmen, die nicht mehr gebraucht werden, um einen Computer wieder schneller zu machen. „Im Wachzustand sammeln sich durch Denken und Arbeiten der Nervenzellen auch ‚Abfallstoffe‘ im Gehirn an. Diese werden im Schlaf durch das sogenannte ‚Glymphatische System‘, eine Art Lymphystem des Gehirns, abtransportiert.“
Was im Körper passiert, wenn wir zu wenig schlafen
Schon wenige Tage mit zu wenig Schlaf können bereits Folgen wie eine erhöhte Herzfrequenz sowie einen erhöhten Blutdruck haben. Wird Schlafmangel zum Dauerzustand, drohen zudem ernsthafte Erkrankungen. „Dazu gehören Schlaganfälle, Herzinfarkte und andere lebensbedrohliche Komplikationen“, beschreibt Prof. Arzt. Zudem erhöhe sich das Risiko für Bluthochdruck und Typ 2-Diabetes. „Eine dauerhaft verkürzte Schlafzeit kann den Stoffwechsel so verändern, dass er in Richtung Zuckerkrankheit (Typ-2-Diabetes) verschoben wird – eine Belastung, die etwa der metabolischen Veränderung entspricht, die normalerweise mit 30 Jahren Alterung einhergeht.“
Wie wichtig Schlaf für das Immunsystem sei, habe zudem eine Studie gezeigt, bei der Forscher Probanden „Schnupfenviren“ in die Nase spritzten. Das Ergebnis: Diejenigen mit kürzerem beziehungsweise schlechterem Schlaf erkrankten deutlich häufiger.
Schlafentzug erzeuge zudem durch eine Umstellung der „Hungerhormone“ Leptin und Grehlin Heißhunger auf „Junk Food“, ungesundes, fettes oder süßes Essen. „Das bedeutet, dass Menschen, die dauerhaft wenig schlafen, ein viel höheres Risiko haben, stark an Gewicht zuzunehmen – nicht selten zehn bis fünfzehn Kilo“, warnt Prof. Arzt.
Was Schlaf mit unserem Gehirn und der Psyche macht
Dabei beeinflusst Schlaf nicht nur unseren Körper, sondern auch unser Gehirn. Die Wirkung von Schlaf lasse sich laut Prof. Arzt eindrucksvoll durch Schlafentzugsexperimente herausfinden: „Diese zeigen, dass ‚nicht schlafen‘ unter anderem zu Konzentrationsstörungen und einer verlängerten Reaktionszeit führt.“ Das kann im Alltag, etwa im Straßenverkehr, schnell gefährlich werden. „Ohne Schlaf funktioniert das Gedächtnis nicht oder viel schlechter. Erlerntes kann nicht behalten werden“, ergänzt er. So kann Schlafmangel in Prüfungsphasen den Lernfortschritt erheblich bremsen.

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Auch Emotionen und Erlebnisse werden im Schlaf verarbeitet. Das klassische Beispiel ist ein Streit. „Häufig erscheint ein Konflikt in einem ganz anderen Licht, nachdem man eine Nacht darüber geschlafen hat“, verdeutlicht der Schlafmediziner.
Langfristiger schlechter Schlaf könne zudem die psychische Gesundheit beeinträchtigen und sogar die Entstehung einer Depression begünstigen.
Was ist der Zirkadiane Rhythmus?
Ein Begriff, den man im Zusammenhang mit Schlaf immer wieder hört, ist der „Zirkadiane Rhythmus“ – unsere innere Uhr. Sie steuert, wann wir müde oder wach sind, und folgt einem Zyklus von etwas mehr als 24 Stunden. Gesteuert wird dieser Rhythmus durch Hormone wie zum Beispiel Melatonin oder Kortisol, aber auch durch äußere Einflüsse – sogenannte Zeitgeber – wie Tageslicht, soziale Aktivitäten und Nahrungsaufnahme. Diese helfen dem Körper, sich an den 24-Stunden-Rhythmus anzupassen und sorgen dafür, dass wir morgens fit und abends müde sind.
Wie kann der Schlaf optimiert werden?
Diese Zeitgeber lassen sich gezielt nutzen, um die innere Uhr zu unterstützen und unseren Schlaf zu verbessern. „Setzen Sie sich morgens bewusst Tageslicht aus, bewegen Sie sich und frühstücken Sie“, rät der Schlafexperte. Ein Spaziergang mit dem Hund oder der Weg zu Fuß oder mit dem Rad in die Arbeit seien ideal. „Bei Kindern sollte das ‚Elterntaxi‘ nicht bis direkt vor die Schule fahren.“
Abends können Routinen wiederum helfen, besser in den Schlaf zu finden. „In den letzten Stunden vor dem Schlaf sollten körperliche Anstrengungen sowie Mediennutzung gemieden werden.“ Die Wirkung von Blaulichtbrillen werde laut Prof. Arzt in dem Zusammenhang häufig überschätzt. Auch große Mahlzeiten empfiehlt er nicht mehr. „Ein entspannendes Abendritual wie lesen, Musik hören oder eine Tasse Tee“, hält er hingegen für äußerst sinnvoll. „Je regelmäßiger das Abendritual durchgeführt wird, desto besser funktioniert es.“
Um seinen Schlaf weiter zu optimieren, sind zudem regelmäßige Schlafenszeiten sinnvoll. „Idealerweise stehen Sie morgens zur gleichen Zeit auf und gehen abends zu einer immer ähnlichen Uhrzeit ins Bett – möglichst auch am Wochenende“, so Prof. Arzt. „Wenn man bis um drei Uhr früh ausgeht, unterzieht man sich einer ‚Zeitverschiebung‘ von circa fünf Stunden – wenn man normalerweise um 22:00 Uhr ins Bett geht. Das kann sich am Montag ähnlich wie ein „Jetlag“ anfühlen.“

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Als optimal gelte eine Schlafdauer von sieben bis neun Stunden. Es gebe aber echte „Kurzschläfer“, die mit dauerhaft fünf Stunden auskämen und leistungsfähig seien. „Die ‚richtige‘ Schlafzeit, ist die, nach der man sich am Tag erholt und leistungsfähig fühlt“, betont der Experte.
Gute Nachrichten für alle, bei denen der Schlaf während der Woche häufig zu kurz kommt: Schlaf lässt sich tatsächlich nachholen. Wer am Wochenende dafür mehr schläft, habe laut Prof. Arzt ein ähnliches Risiko für Erkrankungen wie Bluthochdruck und Diabetes, wie Menschen, die KEINEN Schlafmangel haben.
Auch ein kurzer Mittagsschlaf – der sogenannte Power Nap – kann sinnvoll sein. „Er sollte nicht zu spät gemacht werden und nicht zu lange ausfallen – 15 bis 30 Minuten sollten ausreichen –, um den Nachtschlaf nicht zu beeinträchtigen“, erklärt der Schlafexperte. Ein Tipp: Davor einen Kaffee zu trinken, kann das Aufstehen erleichtern. „Das Koffein wirkt nach circa 30 Minuten“, erläutert Prof. Arzt, rät aber dazu, sich sicherheitshalber einen Wecker zu stellen. Doch nicht jeder kann mittags schlafen – der Power Nap ist daher kein Muss.
Stressmanagement
„Wer den Stress des Tages mit ins Bett nimmt, wird schlecht schlafen können“, weiß der Experte. Gezieltes Stressmanagement oder Entspannungsroutinen halte er deshalb für sehr sinnvoll. Eine be-liebte Methode sei das Führen eines Tagebuchs, um Gedanken aus dem Kopf zu bekommen oder Listen wie „Das habe ich heute geschafft“ oder „Das steht in den kommenden Tagen an.“ Er empfiehlt außerdem Entspannungstechniken wie autogenes Training, progressive Muskelentspannung, Meditation oder Achtsamkeit. „Manche dieser Techniken hat man schnell erlernt, wieder andere muss man etwas üben, bis sie den erwünschten Entspannungseffekt entfalten“, erklärt er.
Optimale Bedingungen für einen erholsamen Schlaf
Die Schlafumgebung kann ebenfalls eine entscheidende Rolle spielen. So sollte das Schlafzimmer laut Prof. Arzt vor allem abdunkelbar, ruhig und nicht zu warm sein – ideal sind 15 bis 20 Grad Raumtemperatur. Eine bequeme Matratze und frische Luft unterstützen zusätzlich die Schlafqualität. „Gerade für Allergiker kann ein Luftreiniger sinnvoll sein, um Pollen, Staub, Tierhaare, Milbenreste, Schimmelsporen und Feinstaub im Zimmer zu reduzieren“, sagt Prof. Arzt. Dieser könne diese Belastungen allerdings nicht vollständig eliminieren.
Ist die Einnahme von Melatonin sinnvoll?
Substanzen zur Schlafverbesserung sollten laut Prof. Arzt nur bei bestimmten Schlafstörungen und Krankheiten eingesetzt werden. Bei Gesunden sieht er keine nachweisbare Wirkung. Auch davon, dass Nahrungsergänzungsmittel den Schlaf verbessern, ist er nicht überzeugt: „Wenn es welche gäbe, von denen ich glaube, dass sie wirken, würde ich sie auch nehmen.“
Immer mehr Menschen führen zudem eigenständig Melatonin zu. Hier mahnt der Experte jedoch: „Melatonin ist kein Nahrungsergänzungsmittel, sondern ein körpereigenes Hormon. Sowohl die freiverkäuflichen niedriger dosierten Präparate als auch das verschreibungspflichtig höher dosierte Melatonin sind beide nicht für eine Dauertherapie zugelassen.“ Ein echter Melatoninmangel sei bei gesunden Menschen ohnehin sehr selten. Häufig liege die Ursache in äußeren Faktoren wie Stress, hellem Licht am Abend, unregelmäßigem Schlaf, Koffein, Alkohol oder bestimmten Medikamente. Man sollte daher eher die auslösenden Faktoren vermeiden.
Schlafmythen: Schlafen wir wirklich besser mit Alkohol & Co.?
Vor allem Alkohol oder auch Cannabis gelten bei vielen als Einschlafhilfe. „Beide Substanzen können zwar die Einschlafzeit verkürzen, stören aber letztendlich einen erholsamen Schlaf“, warnt Prof. Arzt. So führe Alkohol unter anderem zu häufigem Aufwachen. Cannabis enthalte sehr viele Wirkstoffe und sei deshalb komplexer. Aufgrund seines Wirkungs- und Nebenwirkungsprofils sei es jedoch ebenfalls kein gutes Schlafmittel, fasst er zusammen.

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Können Apps und Tracker den Schlaf verbessern?
Apps, Tracker und Smartwatches hält Prof. Arzt hingegen grundsätzlich für sinnvolle Tools, um den Schlaf über größere Zeiträume zu überwachen. „Sie unterscheiden sich jedoch wesentlich von der Messung im Schlaflabor mittels der Auswertung von Hirnströmen.“ Trotzdem seien sie für den Alltag oder auch wissenschaftliche Zwecke durchaus hilfreich. Außerdem hätten diese Tools dazu geführt, dass die Bedeutung des Schlafes wieder mehr Aufmerksamkeit in der Gesellschaft erhalten habe. Eine übermäßige Selbstbeobachtung des Schlafs könne aber auch zu einer großen Verunsicherung sowie einer Verschlechterung des Schlafes führen. „Deshalb rate ich meinen Patienten prinzipiell dazu, die Messung des Schlafes eher uns Ärzten zu überlassen.“
Mit diesen Schlafproblemen kämpft Regensburg
Auf die Frage, welche Schlafprobleme dem Mediziner in seiner täglichen Arbeit in Regensburg besonders häufig begegnen, beschreibt er: vor allem ein verhaltensbedingter Schlafmangel. „Die Menschen schlafen schlichtweg zu wenig, ohne dass eine medizinische Schlafstörung vorliegt.“ Ursache dafür sei die „24/7 Gesellschaft“. Neben Stress in der Arbeit verschärfen Freizeitstress und Mediennutzung das Problem. „Die durchschnittliche Schlafzeit ist in den letzten 60 Jahren um circa 1,5 Stunden gesunken.“
Medizinisch betrachtet seien die häufigsten Schlafstörungen die Insomnie (chronische Ein- und Durschlafstörungen) und schlafbezogene Atmungsstörungen (Schlafapnoe).
Ein Blick in die Forschung
Auch in der Schlafforschung gibt es spannende Erkenntnisse. Die Forschungsgruppe um Prof. Arzt beschäftigt sich überwiegend mit einer der häufigsten Schlafstörungen, der sogenannten Schlafapnoe, die rund 14 Millionen Erwachsene in Deutschland betrifft. Dabei interessieren sie besonders die Zusammenhänge mit Herzkreislauferkrankungen. „Kürzlich hat unsere Gruppe eine Pilotstudie veröffentlicht, die gezeigt hat, dass bei Patienten mit einem Herzinfarkt die Behandlung der Schlafapnoe wesentlich zur Heilung des Herzinfarktes beitragen kann. Die Größe des Herzinfarktes hat sich unter der Behandlung der Schlafapnoe in den ersten drei Monaten um 44 Prozent zurückgebildet, bei Patienten mit unbehandelter Schlafapnoe nur um 21 Prozent.“, erläutert Prof. Arzt und ergänzt: „Weitere Studien müssen zeigen, wie die Behandlung der Schlafapnoe in der Frühphase nach Herzinfarkt umsetzbar ist, und ob sich die vielversprechenden Ergebnisse in größeren Studien reproduzieren lassen.“
Hier geht es zur Publikation: https://publications.ersnet.org/content/erj/64/3/2302338
Die Forschung zeigt also klar: Schlaf ist vielleicht kein Allheilmittel, aber eine der wirksamsten Formen der Prävention.
Marina Triebswetter I filter Magazin