Im Caritas Alten- und Pflegeheim Fritz Gerlich gibt es einen Chor für Menschen mit Demenz. Nicht jede Textzeile sitzt, aber besonders im Advent weckt das Singen Erinnerungen – und „ist einfach schön!“
In der Kapelle des Caritas Pflegeheims Fritz Gerlich ist Generalprobe für den Auftritt des Heimchors bei der Adventfeier. Drei Lieder, vielleicht vier. Niemand zählt mit. Das ist der Vorteil, wenn Perfektion kein Programmpunkt ist. „Singen ist einfach schön“, sagt Inge Strempel. Sie leitet den Chor, ist Betreuungskraft, Gitarristin, ruhige Instanz. Wenn jemand den Einsatz verpasst, ist das kein Fehler, sondern eine Variante.
Wenn Melodien Türen öffnen
Dass dieses „einfach schön“ mehr ist als Gefühl, haben Forscherinnen und Forscher in der Studie „Unvergesslich: Chor für Menschen mit Demenz“ aus dem Jahr 2020 beobachtet. Dort zeigen sie: Gemeinsames Singen aktiviert Erinnerungen, verbessert die Stimmung und bringt Menschen ins Miteinander – selbst dann, wenn Sprache brüchig geworden ist. In der Kapelle von Fritz Gerlich klingt das weniger nach Befund, mehr nach Alltag.
Advent ohne Musik? Undenkbar.
Der Chor entstand aus der Not. Vor einigen Wochen fiel der Orgelspieler aus. Advent ohne Musik? Keine Option. Also holte Inge Strempel die Gitarre hervor, organisierte ein paar Proben – und los. Zum Gedenkgottesdienst der Verstorbenen im November sang der Chor „Schwarze Madonna“. Bei manchen Sängerinnen flossen Tränen. Musik hat diese Nebenwirkung, Fachleute sprechen von „emotionaler Aktivierung“.
Gemeinschaft über Demenz hinaus
Im Chor singen Menschen mit und ohne Demenz. „Singen verbindet“, sagt Inge Strempel. Helga, 85, sagt: „Singen ist immer schön!“ Rosemarie, 86, zitiert eine Volksweisheit: „Wo man singt, lass dich nieder. Böse Menschen haben keine Lieder.“ Sie war Erzieherin, erinnert sich an das Weihnachtssingen mit den Kindern. Luise, 83, sagt: „Wir haben immer gesungen!“ Sie waren fünf Schwestern, alle sangen sie im Kirchenchor.
Ein Lied, ein Moment, ein Wunder
Dass Singen aktiviert und Erinnerungen weckt, ist keine Theorie, sondern zeigt sich im Alltag des Pflegeheims. In der Pflegeoase, einem besonderen Bereich für Menschen mit fortgeschrittener Demenz, saß Inge Strempel einmal am Bett einer Frau, die seit Jahren nicht mehr gesprochen hatte. Inge Strempel spielte Gitarre und stimmte „Alle Jahre wieder“ an. Irgendwann sang die Frau mit. „Ich bin ganz erschrocken“, sagt Inge Strempel. Erschrocken, weil da plötzlich etwas da war, das lange weg schien. Ein Text. Eine Stimme. Eine Erinnerung.
Mehr als Musik
Die Generalprobe läuft. Nicht jede Textzeile sitzt. Das macht nichts. Wichtig ist das Dazwischen: das Lächeln, das Mitsummen. Inge Strempel sagt: „Unsere Bewohner leben hier. Sie sollen sich wohlfühlen.“ Singen war für viele ein Leben lang selbstverständlich. Zuhause. In der Kirche. Im Advent besonders. Inge Strempel singt auch für sich. „Ich habe viel Trauriges im Leben erlebt“, sagt sie. „Das Singen hat mich immer wieder aufgebaut.“ Vielleicht ist das das Geheimnis dieses Chors: Er funktioniert in beide Richtungen. Wer singt, gibt etwas. Und bekommt etwas zurück.
Caritasverband für die Diözese Regensburg e.V. / RNRed