Und wieder möchten wir eine besondere Vespa vorstellen, die Königin in Fragen Vespa-Leistung, das absolute Spitzenmodell der späten 60er und dann der 70er: die Vespa Rally. In diesem Artikel erklären wir, was die Rally 200 so besonders macht, warum sie so eine Wahnsinns Wertanlage ist und worauf man beim Vespabauen achten muss.
Vespa baute zunächst ab 1968 (bis 1973) die 180 Rally (VSD1T) als Nachfolger der 180 SS und entwickelte dabei ein völlig neues Triebwerk. Der Zweitakter wird dabei nicht mehr direkt gesaugt, sondern der Einlass wird über die Kurbelwelle in Form des Drehschieberprinzips geöffnet und geschlossen und transportiert das angesaugte Gemisch zu den drei Überstromkanälen und in den Zylinder. Ein besserer Drehmomentverlauf und 1:50 als Gemisch (anstatt 1:25) sind neben den zunächst 10 PS im Maximum mitunter positive Effekte. Bei den ersten Rallys gab es dabei noch ein Chromrücklicht und besonders schön ist auch der geschwungene chromener Schriftzug – Klassik pur und knapp 26.500-mal gebaut.
Die schnellste und beste
Aber Vespa war mit dem Spitzenmodell noch nicht fertig und setzte, dem Namen gerecht werdend noch eins drauf: die Rally 200. Gebaut von 1972- 1979, mit der Typenbezeichnung VSE1T. Wenn wir an die klassischen Vespas, einschließlich der bis 2000 gebauten PX-Reihe denken, hat nie wieder eine 200er so viel Leistung gehabt. Die Rally 200 verfügt über satte 12,5 PS (P200E, 200PX max. 12 PS) und läuft damit bis zu 116 km/h schnell. Zumindest wenn es nach der Chronik-Fibel des Italieners Giorgio Sarti geht. In Wikipedia findet man 12 PS, im Scooterforum 12,39 PS, auf Vespa Cult 12,24 PS, unsere wird mit einem 12,9 PS Gutachten versehen und mit 9 kW eingetragen... Belassen wir es dabei: die schnellste und beste eben.
© Nick Lengfellner
Der Zündfunke
Dabei kam erstmalig eine elektronische Zündung zum Einsatz, die wir nur kurz in der Funktion anreißen möchten. Auf den Kurbelwellenzapfen unter dem Lüfterrad wird dabei ein breiter, und in seiner Höhe unterschiedlich dicker, Metallring gesteckt. In 0,25 mm Abstand ist auf der Zündgrundplatte zwischen den anderen großen Speisespulen für Licht und Co. ein Pickup montiert. Das ist eine kleine Box mit einer Drahtspule um einen kleinen Magneten. Rotiert der unterschiedlich dicke Ring vorbei, erzeugt dies durch die Magnetfeldänderung einen Ministrom im Draht: ein Signal. Dieser Strom wird weiter zur CDI/FEMSA (Bild) nach außen geleitet und schaltet dort ein Halbleiterelement auf Durchlass. Dadurch wird ein – von einer der Speisespulen aufgeladener – Kondensator umgehend entladen. Der Strom der Entladung fließt über eine dortige Niedervoltspule ab und erzeugt dabei ein Magnetfeld, welches eine naheliegende Hochvoltspule durchdringt und lässt dort wiederum Strom fließen. Hochvolt = Zündfunke! Vorteil des Ganzen: es braucht keinen mechanischen, verschleißbehafteten Unterbrecher mehr! An exakt der gleichen Kurbelwellenposition kommt bei jeder Umdrehung lebenslang das Signal. Nachteil: die schönen Femsazündungen gehen mit den Jahren kaputt (Spule, Halbleiter…) und der Ersatz ist leider wahrlich hässlich für den Originalteilfetischisten.
Rennstreifen für die Rally 200
Weitere Besonderheiten beider Rallys sind natürlich mitunter: das einzigartige Gepäckfach, der Lenkerkopf mit dem großen Scheinwerfer samt Chromring und die eben noch aus Metall bestehende Kaskade samt der hübschen Wechselstromschnarre oder die geprägten und offenen Seitenhauben. Wunderschön ist auch noch der Aufbau der vorderen Radaufhängung, wo Dämpfer und Feder getrennt sind. Hier sind zwar spätere zusammengefasste Systeme besser in der Fahrdynamik und absolut wartungsarm – aber es sieht einfach herrlich aus so. Ebenso wie der schwarzgrundige Tacho. Die Rally 200 bekam zudem noch Rennstreifen, die auf die elektronische Zündung hinweisen (bei den weißen Modellen in Silber). Eigen ist ihr auch die schwarze Finne vorne am Kotflügel. Optisch wegweisend – leider – sind auch die Modellschilder. Vorne ziert in der 2. Serie der Rally (ab 1975) bereits das gerade schwarz-chromerne Vespa-Logo das Beinschild und hinten kommt ebenfalls ein rechteckiges Rally 200 Schild zum Einsatz. Das war eben modern, unterbricht aber aus heutiger Sicht die klassischen Linien der Karosserie.
© Nick Lengfellner
Einkauf, RESTO UND PREISE
Ja, so eine muss hergerichtet werden! Wer auf die Vespas ab den 60er Jahren steht landet automatisch irgendwann bei der Rally. Sie ist quasi als Flaggschiff unumgänglich.
Und da Vespaliebhaber keinesfalls aussterben, sondern pilzartig munter nachwachsen, suchen eben viele Kult-Jünger. Deshalb ist die Vespa Rally auch eine der deutlich teureren und stückzahlbedingt auch eben selteneren Modelle. 41.275 Rally 200 wurden gebaut. Originallack und wirklich gut restaurierte werden weit über 13.000 Euro gehandelt.
Wer eben selbst Hand anlegen will, sucht sich sein Modell nach seinen Fähigkeiten, soweit er überhaupt noch eine Wahl hat. Der Rollerladen in Pfaffenberg gräbt und durchforstet ja weiterhin Italien selbst und bringt Fahrzeuge nach Deutschland.
Rally 200 als Wertanlage
Irgendwann im Spätsommer 2021 haben wir dann doch zartes Interesse bekundet und um eine Suche gebeten. Nach wenigen Monaten war dann auch eine Rally dabei (Auskunft aktuell: seit einem Jahr ist nichts mehr aufzutreiben!). 7.500 Euro waren damals für die 1975 gebaute aufzubringen. Klar, dass der Motor schon aus Zuverlässigkeitsgründen komplett zerlegt werden und neu gelagert werden wollte – ein Spaß für den Feierabend im Winter und bis auf zweischaliges Kurbelwellenlager und besagter interessante Pick-Up Konstruktion für den Zündzeitpunkt ist der Motor „nice to handle“ wie jeder Vespamotor. Dazu kommen Basics wie Stoßdämpfer hinten, Bremsklötze, neue Züge, Reifen, Schläuche, viel Gummi, Trittleisten und viel Kleinzeug. Gut 1.300 Euro an Teilen am Ende, ohne Lack. Die Teileverfügbarkeit ist dafür sehr gut. Wer nachkauft sollte immer genau schauen welchen Quali-Level er einkauft und ob es Veränderungen zum Originalteil gibt. Das sind oft nur Details, aber die machen es eben aus. Wer es als Wertanalage sieht – und die Preise explodieren weiter – sollte genau schauen!
© Nick Lengfellner
Die Beautybehandlung der Königin
Und die Karosserie unserer Rally? Unsere Königin hatte nur oberflächlichen Rost und nicht mal an den Trittbrettern musste geschweißt werden. Wie sich erst später zeigte, ist das schönste aber, dass die Karosserie nirgends verbeult war oder Spachtel hatte. Das ist wirklich unfassbar selten, denn ein langes Leben zeigt sich bei den meisten doch als Kaltverformung an Beinschild, Kotflügel oder Seitendeckeln. Dass hier alle Teile original waren ließ sich einfach am Farbaufbau nachvollziehen: Blech, darauf die originale, graue Grundierung, darauf Rot (Rosso Corsa). Darüber gings dann wohl mal los: eine weiße Grundierung, dann oranger Lack und drüber nochmal wieder roter Lack. Prost! Es wurden wirklich einige lange Arbeitstage verschwendet um den O-Lack freizulegen, aber es war einfach auch an den Trittbrettern und anderen Teilen zu viel Fläche ohne Lack. Was sicher auch zu den zwei schlampigen Überlackierungen geführt hatte. Und so wurde dann doch bis zur ersten Grundierung runtergeschliffen (ist diese gut, belasse ich sie lieber und greife die Substanz nicht weiter an), grundiert und schließlich mit Rosso Corsa in der Originalfarbe lackiert. Besonders viel Wert gelegt wurde natürlich auf den Erhalt alter Teile. Egal ob es die Wechselstromschnarre war, die erst zerlegt und instandgesetzt wurde, oder das Schloss des Handschuhfaches, für den in vielen Stunden ein eigener Schlüssel angefertigt wurde, um es zu erhalten.
Matching beim Motor?
Bei vielen Oldies lässt sich das nicht überprüfen, weil der Hersteller in Masse produzierte, bei anderen wurde 1:1 die gleiche Nummer verwandt. Bei Vespas hängt es ein bisschen vom Modell und dem Werksdurchsatz ab und scheinbar davon, wer gerade wohin griff.
Hier wird man nie die gleiche Nummer am Rahmen und am Motor haben, aber im Werk wurde eben in Chargen rausproduziert und Rahmen und Motoren im gleichen Fortlauf aus den Regalen entnommen. Es hat sich herausgestellt, dass die Nummern um 150 abweichen. Bei uns z.B. um 116. Wichtig als Tipp natürlich: wie sehen die Flächen um die Nummern aus? Wenn hier nachgeschlagen wurde, muss die alte Nummer ausgeschliffen werden und damit auch das Material abgetragen werden. Am Rahmen wird es dünn, am Motor verliert es die ursprüngliche Guss-Struktur des Blocks. Gerne werden Vespen heute in der Resto an der Nummer nicht gelackt, um die Originalität einfacher aufzuzeigen. Wir haben an der Stelle Fotos vorab gemacht und später dann dort nur eine Schicht Grundierung und Lack aufgetragen – perfekt lesbar.
Besonders fein ist natürlich die einfache Elektrik, bei der noch keine Batterie zum Einsatz kommt. Dies ist aber modellabhängig, denn deutsche Ausführungen hatten Batterie und Gleichrichter für Blinker an Bord. Bei Kabel Schute haben wir jedenfalls wieder einen gut gemachten Kabelbaum bestellt (die Unterschiede zu billigen sind frappierend), diesen aber leider an einer Stelle verlängern müssen.
© Nick Lengfellner
Vespabauen: Hilfe ist nicht notwendig – man braucht nur Zeit
Tipp auch hier, wie schon in den ausführlichen Vespa-Restoberichten in früheren Ausgaben: werden neue Trittleisten oder der Kantenschutz angepasst, so wird dabei ZWANGSLÄUFIG Lack oder Grundierung verletzt. Gerade beim Kantenschutz bis er montierbar sitzt (Rally: verchromtes, geschlitztes, scharfkantiges Stahlrohr). Wer selbst grundiert ist im Vorteil: man hat dann schon ein quasi homogenes Lackbild und sieht genau wie Schutz und Leisten später Schatten werfen oder störend nicht passend anliegen. Wechseln sich beim Anpassen hier noch Rost und Farbe ab, erschwert dies die Beurteilung ob es sitzt. Ist das Anpassen durch, grundiert man eben einfach beschädigte Stellen nach. Wer nicht selbst grundiert, macht die Anpassungen vor dem Grundieren! Zum Nieten der Trittleisten empfehle ich Nietwerkzeug von SIP. Damit kann man schön in Ruhe alles alleine erledigen. Die Rückmontage der restlichen Komponenten ist dann gewohnt einfach und geht in wenigen Tagen vonstatten. Vespabauen erfordert keine Hilfe, sondern nur viel Zeit, gerade wenn es um Teileaufbereitungen geht. Trotz des guten Zustandes sind sicher 300 Stunden zusammengekommen. Auf geht‘s, egal ob mit einer schönen 50er oder einer Rally!
Motofilter | Nick Lengfellner / RNRed