2016 lief der letzte Defender vom Band. Irgendwann davor beschloss Tatra, der hinter Land Rover stehende indische Konzern, den Defender in seiner legendären, altbekannten Bauart einzustellen. Später legte man ihn dann neu auf, zeitgemäß und modern war die Devise. Aber „zeitgemäß“ ist eben eine sehr persönliche Sicht, im speziellen Fall hier eine, die mancher so gar nicht teilt…
…Dem Gott der kantigen Ur-Geländewagen sei Dank auch ein Engländer nicht: und im 7. Jahr danach schuf er den Grenadier. Und so gut wie dieser war der alte Defender wohl nie.
Jim Ratcliffe wollte das unrühmliche Ende des fantastisch-einfachen und robusten Lastenesels so nicht hinnehmen. Ein Fahrzeug, das sich in den unwirklichsten Ecken unserer Erde von heiß bis kalt, von trocken bis superschlammig bewährt hatte. Der Firmenchef vom Chemieriesen Ineos (namentlich vielen bekannt von der Tour de France oder der Formel 1 mit Mercedes) verkündete 2016 deshalb einfach eine eigene Neuauflage des Defenders, natürlich in komplett eigener Entwicklung und unter dem Namen Grenadier. Als reichster Brite kann man das eben. Jaguar Land Rover fand das nicht lustig, scheiterte mit einem Verbot aber (bis auf den Namen), weil das Landydesign für den allgemeinen Betrachter zu unspezifisch und damit nicht konkret schützbar ist. Und so entwickelte Ratcliffe zusammen mit dem österreichischen Spezialisten Magna Steyr den Klotz der Klötze weiter um Landwirte samt sieben Schafen im Fond, Waldarbeitern mit dreißig Kettensägen, Bergrettern oder Weltenbummlern weiterhin ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Und das hat er geschafft! Alleine schon die Aussage, mit dem Wasserschlauch das gesamte Cockpit einfach rausspritzen zu können, erzeugt bei Schmutzfinken und Wildlife-Dompteuren ganzkörperliche Gänsehautschübe – auch wenn dies am Ende kein Autoliebhaber jemals tun würde, auch wenn alle Instrumente abgedichtet sind.
Wo bekommen wir den Männertraum von Auto?
Doch wo bekommen? Wie der Szenenbeobachter weiß – INEOS-Autohäuser finden sich nicht, aber die Marke wird eben durch neue Partner vertrieben und gewartet. In unserer Region in Deggendorf, beim Autohaus Griesbeck, die neben einzelnen Häusern für Jaguar, Land Rover, Fiat, Ford und Volvo auch INEOS in ihre Familie aufgenommen haben. Gut für unsere Ausfahrt, denn der Bayerische Wald passt gefühlt doch zu diesem Männertraum von Auto. Das Wetter ist ebenfalls perfekt – eine Mischung aus Starkregen und mittelstarkem Regen, ein Apriltag an den Ausläufern unserer Hausberge.
Unverwüstlicher Motor und trotz aller Wildheit gut gedämmt
Einfach losfahren, die Funktionen erklären sich eben eigentlich von selbst. Wahlweise steht dem Käufer ein Diesel oder ein Benziner zur Verfügung, beide aus dem Haus BMW und mit sechs Zylindern bewaffnet. Wer die Motoren kennt, weiß um deren Unverwüstlichkeit, kombiniert mit dem Vorteil, weltweit Ersatzteile der Marke bekommen zu können. Aus drei Litern Hubraum entstehen beim Benziner dabei 286 PS mit guten 450 NM Drehmoment oder beim Diesel (B57, Zucker, kein Aufpreis) 249 PS mit satten 550 NM Drehmoment. Wir starten unseren Diesel – ein zartes Säuseln, mehr nicht. Und motorseitig kommt hier auch im Betrieb nicht mehr beim Fahrer an, BMW baut eben seidige Aggregate und der Grenadier ist trotz aller Wildheit gut gedämmt. Auch sind die Fahrgeräusche weit geringer als im alten Defender und das trotz durchaus geländegängiger Bereifung. Wer natürlich Dachgepäckträger und Aufbauten schippert, erzeugt sein eigenes Konzert von oben. Apropos oben – sollte der Dompteur bei einer angedachten Wasserdurchfahrt die Tiefe verwechselt haben oder gar von einer Brücke in die Flut gefallen sein – über den Köpfen der Vordersitze sind schöne große Luken. Diese sind eigentlich zum Ausstellen gedacht, können aber auch einfach ausgekoppelt und somit zum Notfallausstieg umgewidmet werden.
Für den echten Einsatz gedacht
Die Landstraße bringt uns in den Nationalpark. Das Fahrwerk (ZF Dämpfer, Eibach Federn) ist gut abgestimmt, wankt bei normalen Lastwechseln nur gering und ist trotzdem straff genug, um auch auf dem Asphalt ein wirklich gutes Fahrgefühl zu vermitteln. Man darf nicht vergessen: hier arbeiten Starrachsen und es gibt ein gutes Fahrzeuggewicht zu schultern: 2,6 Tonnen aufwärts. Viel? Durchaus, aber dafür ist hier ein mehr als üppig ausgelegter Leiterrahmen als Grundkonstruktion verbaut, der in seiner Klasse das wohl robusteste ist, was sich derzeit bekommen lässt. Dieses Auto ist für den echten Einsatz gedacht und hat mit einem SUV eben wirklich fast nichts gemein außer vielleicht einigen „Luxuskomponenten“ wie z.B. Radio, Sitzheizung, Klima oder den großzügigen Bildschirm, auf den auch das Handy gespiegelt werden kann. Auch die Navigation läuft dann über letzteres.
Für dieses Gesamtgewicht braucht es dann eben auch den großen Motor und in unter 9 Sekunden geht es auf 100 km/h, bei denen wir dann um die 10 Liter für 100 km verbrauchen. Bei 160 km/h wird abgeregelt. Etwas ungewohnt für viele dürfte dabei die Kugel- umlauflenkung sein.
Sie ist präzise und perfekt im Gelände (kein fingerbrechendes Rückschlagen!), fantastisch in tiefen Spurrillen. Auf der Straße muss man dafür bedenken, dass sie eben nicht von selbst in einen Geradeauslauf zurückdreht, weshalb auch fortwährend etwas zugearbeitet werden muss. Diese Lenkungen werden in schweren Nutzfahrzeugen verbaut und sind entsprechend massiv ausgelegt.
Robust
Robust ist eben das Gesamtcredo des Grenadiers: Hier wächst der Bart des Mannes doppelt so schnell. Egal ob sie an der Leiter rumklettern, um auf das 450 kg tragende Dach zu kommen, den Unterfahrschutz (Tank extra geschützt) malträtieren, das Fahrzeuginnere einnässen (durch externen Wassereintrag natürlich), ein Motorrad auf einer Halteplattform auf der Anhängerkupplung transportieren (unfassbare 350 kg Stützlast), bis zu 3,5 Tonnen anhängen wollen oder sich selbst mit der Zugkraft von 5,5 Tonnen via Seilwinde aus der Schlucht senkrecht nach oben ziehen möchten: Der Grenadier liefert ab! Das Naturknie, über dem dieses Auto gebrochen werden könnte, findet man nicht allerorts und so wurde natürlich auch unser Ausflug allenfalls eine kleine Lockerungsübung für das Fahrzeug. Wer nicht rastet, der rostet nicht – auch wenn die Hülle hier aus Aluminium besteht.
Man hätte natürlich auch noch das 8-Gang-ZF-Getriebe samt seiner Untersetzung austesten oder sich ausdauernd mit den liebevoll gestalteten Reglern und Schaltern der Konsolen beschäftigen können - Bilder sagen hier aber mehr als Worte. Und natürlich gibt es auch schon viel Zubehör, um die Weltreise anzutreten. Robustes, versteht sich.
Es gibt drei Karosseriemodelle: den Station Wagon, in der Grundauslegung für fünf Personen und auch etwas mehr Fahrgastkomfort angedacht, den Utility Wagon, der mehr für Zuladung und Beruf gedacht ist (zwei oder fünf Personen, Lkw Zulassung möglich, ganz hinten keine Seitenfenster) und den natürlich absolut legendär aussehenden Quartermaster mit großer Pick-up-Ladefläche hinter der 2. Sitzreihe. Wer gerne auf Elba oder Sardinien wandert, wird diese vom Defender bekannte Bauart oft sehnsüchtig bewundert haben. Letztes Modell gibt es auch ohne Ladefläche noch zum weiteren Selbstaufbau.
Was kostet der INEOS Grenadier?
Wo beginnt der Traum? Ja, er ist teurer als der Defender damals war. Man darf die Inflation und speziell die Teuerung des gesamten Automarktes aber nicht außer Acht lassen, wollte man einen Vergleich ziehen. Noch (!) beginnen die Preise bei 71.140 Euro. Ab hier kann man dann durchaus noch einiges an Optionen hinzubuchen, von zusätzlich vorne und hinten zuschaltbaren elek- tronischen Differenzialsperren, Filtern und Schnorcheln, Trittleisten, Dachträgern, Zusatzleuchten, Hochlastleitungen für externe Verbraucher, allen möglichen Laderaumfeatures uvm. - auch die Rückfahrkamera zum Wohl des Fahrzeugs macht durchaus Sinn. Aber das entscheidet jeder Globetrotter dann eben für sich. Als alter Defender-Fan bleibt hier nur zu sagen: Danke, Danke und Hut ab!
Auto: Autohaus Griesbeck, Deggendorf
Pilot: Nick Lengfellner
Nick Lengfellner | filterVERLAG